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Als Mutter streikte

Als Mutter streikte

Titel: Als Mutter streikte
Autoren: Eric Malpass
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und Vorabdrucksrechte und Virginia Woolf. Ich beobachtete ihn und dachte an Clifton: er hätte gern neben mir Platz nehmen dürfen.
    Vater gehörte zu den Schriftstellern, die selten etwas anderes als kurze Beiträge für Zeitschriften schreiben und häufig noch nicht einmal ein Honorar dafür sehen, denen es aber dabei recht gut geht und die wie Foyles’ Buchladen und die literarische Beilage der aus dem literarischen Leben Englands nicht wegzudenken sind. Er hätte mit einer ganzen Schulklasse anrücken können, ohne daß dieser Lancelot protestiert hätte. Das hieß natürlich nicht, daß er es als Vergnügen empfand. Seine Zeitschrift erlaubte keine großen Spesen, und der Anblick, wie Perse gelangweilt ihren Hummer verspeiste und Trubshaw angewidert die Krabben aus seinem Krabbencocktail fischte und auf dem Tellerrand placierte, mußte seinen Genuß an der Seezunge nach Müllerin Art erheblich beeinträchtigen. Doch auch diese Mahlzeit nahm ein Ende, er bot Vater eine Zigarre an und beglich die Rechnung. Dann streckte er ihm die Hand hin. «Wiedersehen, Kemble. War mir alles sehr interessant. Sehr interessant, wirklich.» Dann fiel ihm etwas ein. «Sagen Sie mal, haben Sie nicht vorhin gesagt, Ihre Frau habe Sie verlassen?»
    «Ja», sagte Vater.
    «Wie überaus ärgerlich, aber das kann ja schließlich jedem von uns passieren, nehme ich an.» Dann wandte er sich mir zu. «Auf Wiedersehen. Und versprechen Sie mir: wenn Sie das nächste Mal in London sind, müssen Sie mich unbedingt in der Redaktion besuchen.»
    «Danke», sagte ich. Mir war, als schüttelte ich einem Tintenfisch die Hand. Er lächelte Perse flüchtig an und nahm von Trubshaw überhaupt keine Notiz, der allerdings auch von ihm keine nahm, und eilte davon.
    Vater streichelte Perse übers Haar und sagte: «Gut gemacht. Jeder Bissen von dem Hummer hat bestimmt fünf Shilling gekostet.» Er nahm die Zigarre aus dem Mund, betrachtete sie prüfend, steckte sie wieder in den Mund und zog bedächtig und genießerisch daran. «Mit diesem Lunch dürften wir den Artikel als bezahlt ansehen. Und was machen wir jetzt?»
    Wir gingen den Piccadilly hinunter. Für einen Schriftsteller ist Vater erstaunlich konformistisch; wenn er nach London fährt, zieht er immer einen dunklen Anzug an, setzt seinen steifen Hut auf und nimmt den eng zusammengerollten Regenschirm mit. Wenn ich ihn so betrachtete, seinen charaktervollen Kopf, die dicke Zigarre, dann mußte ich zugeben, er sah irgendwie bedeutend aus, und als wir in die Old Bond Street einbogen, nahm ich seinen Arm und hatte das Gefühl, das Leben sei vielleicht doch so reich und schön, wie ich es mir bisher vorgestellt hatte. Ich tat so, als ob meine Geschwister gar nicht zu uns gehörten; Perse schlurfte zwei Schritte hinter uns und sah aus wie Das-Kind-mit-dem-die-anderen-nicht-spielen-Durften. Trubshaw trödelte verdrossen hinter uns her. Ich zog die Augenbrauen hoch und blickte hochmütig in die Auslagen der Geschäfte, als suchte ich nach irgend etwas Exquisitem, das meinem verwöhnten Geschmack angemessen wäre.
    Luxus und Pracht der Auslagen faszinierten mich. Im Geiste sah ich meinen Rolls Royce herangleiten und anhalten: der Chauffeur sprang heraus, um mir den Schlag zu öffnen, und in elegantem Pelz nahm ich im Wagen Platz. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, ob es nicht vielleicht viel interessanter wäre, das luxuriöse Leben einer Mätresse zu führen statt einen kleinen Bankangestellten zu heiraten.
    Eine Dame kam auf uns zu. Sie trug ein schickes, buntgemustertes Sommerkleid, elegante Sandaletten und eine riesige Sonnenbrille. Ihre Haut war tief gebräunt - sie war die leibhaftige Verkörperung dieser Sommertage.
    Ich schmiegte mich noch enger an Vater und gab mir Mühe, so auszusehen, als stamme mein Kleid von Dior und nicht aus dem Versandhaus. Die Dame kam näher, und zu meinem höchsten Erstaunen blieb Vater plötzlich stehen. Er nahm die Zigarre aus dem Mund und den Hut vom Kopf. «Aber ist es denn die Möglichkeit», sagte er. «Gloria, hinter der verdammten Sonnenbrille bist du ja kaum zu erkennen.»
    Sie nahm die Brille ab und lächelte uns strahlend an, erst Vater, dann mich. «Hallo, Harry», sagte sie.
    Abgesehen von meiner Mutter war sie gewiß die schönste Frau, die ich je gesehen hatte. Sie war eine Frau von weicher, ja träger
    Schönheit, und als ich sie betrachtete, wußte ich, daß ich niemals schön sein würde. Und wenn je ein Mann mich lieben würde, dann ganz
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