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Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Titel: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl
Autoren: Judith Kerr
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Lachen.
    »Er hat dir geantwortet«, japste Max. »Du hast gesagt: ›Was ist ein Büssi?‹ und er hat gesagt:...«
    »Iiiich!« kreischte Anna.
    »Kinder, Kinder!« sagte Mama, aber es war zwecklos, sie konnten nicht aufhören zu lachen. Sie lachten über alles, was sie sahen, die ganze Fahrt bis nach Zürich. Mama entschuldigte sich bei der Frau, aber die sagte, es störe sie nicht, sie habe nichts gegen gute Laune. Jedesmal, wenn das Gelächter aufhörte, brauchte Max nur zu sagen: »Was ist ein Büssi?« und Anna rief: »Iiiich!« und wieder platzten sie los. Sie lachten immer noch, als sie in Zürich auf dem Bahnsteig standen und nach Papa Ausschau hielten.
    Anna sah ihn zuerst. Er stand neben einem Kiosk.
    Sein Gesicht war blaß, und er betrachtete ängstlich und angespannt die Leute, die mit dem Zug angekommen waren.
    »Papa«, schrie sie, »Papa!«
    Er drehte sich um und sah sie. Und dann fing Papa, der immer so würdig wirkte und nie etwas in Hast tat, plötzlich an zu laufen. Er legte die Arme um Mama und drückte sie an sich. Dann umarmte er Anna und Max. Er drückte sie alle an sich und wollte sie nicht loslassen.
    »Ich konnte euch nicht entdecken«, sagte Papa.
    »Ich hatte Angst...«
    »Ich weiß«, sagte Mama.

5
    Papa hatte im besten Hotel von Zürich Zimmer für sie reserviert. Im Hotel gab es eine Drehtür, dicke Teppiche und überall viel Gold. Da es erst zehn Uhr morgens war, frühstückten sie noch einmal, während sie über alles redeten, was geschehen war, nachdem Papa Berlin verlassen hatte.
    Zuerst schien es so, als hätten sie ihm unendlich viel zu erzählen, aber bald fanden sie, daß es schön war, einfach zusammen zu sein, ohne überhaupt etwas zu sagen. Während Anna und Max sich durch zwei verschiedene Arten von Brötchen und vier verschiedene Sorten von Marmelade hindurchaßen, saßen Papa und Mama einfach da und lächelten einander an.
    Immer wieder fiel ihnen irgend etwas ein. Papa fragte: »Hast du die Bücher mitbringen können?« Oder Mama sagte: »Die Zeitung hat angerufen, sie wollen, wenn möglich, noch in dieser Woche einen Artikel von dir haben.« Aber dann verfielen sie wieder in ihr zufriedenes Lächeln.
    Schließlich hatte Max den letzten Tropfen seiner heißen Schokolade ausgetrunken, sich die letzten Brötchenkrümel von den Lippen gewischt und fragte:
    »Was sollen wir jetzt machen?« Irgendwie hatte niemand daran gedacht.
    Nach einer Weile sagte Papa: »Kommt wir wollen uns Zürich ansehen.«
    Sie stiegen zuallererst auf einen Berg. Der Hang war so steil, daß man mit einer Zahnradbahn hinauffahren mußte. Das war eine Art von Aufzug auf Rädern, der in einem beängstigenden Winkel nach oben stieg. Anna war noch nie in einer solchen Bahn gewesen. Sie verspürte eine Erregung, aber ab und zu warf sie auch immer wieder ängstliche Blicke auf das Kabel, um zu schauen, ob es Zeichen von Verschleiß zeige.
    Vom Gipfel des Hügels aus konnte man sehen, daß Zürich sich an einem Ende eines riesigen blauen Sees zusammendrängte. Der See war so groß, daß die Stadt im Vergleich dazu klein aussah, und das entfernte Ufer verlor sich zwischen hohen Bergen. Dampfer, die aus dieser Höhe wie Spielzeug aussahen, zogen am Rand des Sees entlang und legten bei jedem der Dörfer an, die am Ufer verstreut waren. Die Sonne schien, und alles sah recht einladend aus.
    »Kann jeder mit diesen Dampfern fahren?« fragte Max. Gerade das hatte auch Anna fragen wollen.
    »Möchtet ihr gern fahren?« fragte Papa. »Dann sollt ihr es auch - heute nachmittag.«
    Das Mittagessen in einem Restaurant mit verglaster Terrasse am Seeufer war prächtig, aber Anna konnte nicht viel essen. Sie hatte ein schwindliges Gefühl im Kopf. Und obwohl ihre Nase nicht mehr lief, spürte sie jetzt ein Kratzen im Hals.
    »Ist dir etwas?« fragte Mama ängstlich.
    »Nein, alles in Ordnung«, sagte Anna, die an den Schiffsausflug am Nachmittag dachte. Es kam gewiß nur davon, daß sie am Morgen so zeitig hatte aufstehen müssen, sagte sie sich.
    Neben dem Restaurant gab es einen Laden, in dem Ansichtskarten verkauft wurden. Sie kaufte eine und schickte sie an Heimpi, während Max eine an Günther adressierte.
    »Ich möchte wissen, wie es mit den Wahlen geht«, sagte Mama.
    »Glaubst du wirklich, daß die Deutschen in der Mehrzahl für Hitler stimmen werden?«
    »Ich fürchte ja«, sagte Papa.
    »Vielleicht auch nicht«, sagte Max. »Viele der Jungen in meiner Klasse waren gegen ihn. Vielleicht stellt sich morgen
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