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Als die schwarzen Feen kamen

Als die schwarzen Feen kamen

Titel: Als die schwarzen Feen kamen
Autoren: A Beer
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Farben, bis seine Augen brannten. Da war doch etwas! Er wusste es. Aber es zeigte sich nicht. Warum nur?
    Wie zur Antwort auf seine unausgesprochene Frage drang aus einer Ecke seines Bewusstseins ein tiefes Grollen, wie durch einen langen Tunnel verzerrt. Gabriel fröstelte. Es war lange her, dass er mit der Bestie in seinem Schatten Kontakt aufgenommen hatte. Vielleicht zu lange. Die Gelassenheit, die er sich im Umgang mit der Kreatur erkämpft hatte, hatte in den vergangenen Monaten ein wenig zu bröckeln begonnen. Aber jetzt war es an der Zeit, eine alte Vereinbarung zu erneuern.
    Abrupt drehte Gabriel sich um und ging mit festen Schritten in sein winziges Badezimmer. Hier, versteckt in einem Spalt zwischen Duschkabine und Wand, stand der einzige Spiegel, den es in seiner Wohnung gab. Er hatte ihn abgehängt, um nicht öfter als nötig hineinsehen zu müssen. Sein eigenes Gesicht zu betrachten und das, was dahinterlag, machte es ungleich schwerer, sich gegen die düstere Anziehungskraft seiner Schattenkreatur zu wehren. Aber gerade jetzt wollte er das ja nicht.
    Mit einem tiefen Atemzug griff Gabriel nach dem Spiegel und trug ihn ins Wohnzimmer hinüber. Auf dem Sofa hielt er das kalte Glas mit der reflektierenden Seite nach unten auf den Knien und versuchte, sich geistig darauf vorzubereiten, was er gleich sehen würde.
    Das Gesicht seiner Bestie.
    Er kannte sie in- und auswendig, und er hätte keiner Hilfsmittel bedurft, um bis aufs Haar zu wissen, wie sie aussah. Aber der Spiegel war die einzige Möglichkeit, ihr direkt in die Augen zu blicken. Und das würde wohl nötig sein– nach so vielen Wochen.
    Mit einer entschlossenen Bewegung drehte Gabriel den Spiegel um und richtete ihn auf.
    Ein kehliges Knurren erschütterte den Zwischenraum, der die Wirklichkeit von der dahinter verborgenen Dunkelheit trennte. Hinter Gabriel, am äußersten Rand seines Schattens, erhob sich geschmeidig eine menschenähnliche Gestalt mit sehnigen Gliedern. Narben und frische Wunden zerrissen die kalkweiße Haut. Die Rippen stachen aus der flachen Brust hervor. Die Kreatur hätte Gabriel selbst dann noch um mehr als zwei Köpfe überragt, wenn er auf den Füßen gestanden hätte. Verfilzte Haare fielen weit in die Stirn und auf die scharf hervortretenden Wangenknochen und überschatteten die düstere Glut der tief in den Höhlen liegenden Augen. Schwarzes Blut quoll wie Tränen hinter den rotgeränderten Lidern hervor, als die Bestie sich dem Spiegel zuwandte. Ihre Lefzen zogen sich zu einem leisen Fauchen zurück. Gabriel lächelte grimmig. Sie hatten sich lange nicht in die Augen gesehen. Aber sie hatten sich nicht vergessen.
    Vorsichtig legte er die Fingerspitzen einer Hand leicht an das Glas. » Ich brauche dich«, sagte er und stellte beruhigt fest, dass seine Stimme leise, aber sicher klang. » Komm.«
    Lange, scharfe Klauen schabten über den Holzfußboden, als die Kreatur heranschlich. Ein Grollen, das sich beinahe zufrieden anhörte, vibrierte in ihrer Brust. Sie verstand. Sie hatte das Stigma des Mädchens auch gesehen und nur darauf gewartet, dass er sie rief. Als sie sich herunterbeugte, um an seinem Hals zu schnüffeln, schloss Gabriel die Augen und spürte, wie ein heißer Schauer durch seinen Körper floss. Der Drang, sich zu wehren und die Bestie von sich zu stoßen, brodelte wie wild in seinem Magen. Und gleichzeitig konnte ein Teil von ihm es kaum erwarten, dass sie ihn endlich berührte. Ein bisschen war es, wie in der Achterbahn zu fahren– nur unendlich viel intensiver. Saß man erst einmal im Wagen, war es unmöglich, auszusteigen, und erst dann merkte man, wie viel Angst man wirklich hatte. Diese Angst verschwand auch beim zehnten Mal nicht ganz, aber man begann sich darauf zu freuen. Selbst wenn einem immer wieder schlecht davon wurde.
    » Nun mach schon«, flüsterte er rau. » Ich meine es ernst.«
    Dürre Finger griffen nach seinem Hals, zögernd fast und gleichzeitig zitternd vor unterdrückter Erregung. Das Biest hatte auf diesen Moment gewartet, seit sie sich zum letzten Mal getrennt hatten, das wusste Gabriel. Keine Angst, ermahnte er sich. Er war der Führer in diesem Team, nicht die Bestie. Niemals mehr die Bestie. Stattdessen öffnete er sich, wie er es sich selbst beigebracht hatte, und spürte, wie seine Wahrnehmung und die der Bestie nur allzu bereitwillig miteinander verschmolzen. Ein elektrisierendes Prickeln jagte für einen Wimpernschlag durch seinen Körper, und sein Gehirn schien
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