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Als der Meister starb

Als der Meister starb

Titel: Als der Meister starb
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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erschrockener Ausdruck, der aber fast unmittelbar in Zorn umschlug, als er vor uns stehen blieb und mir in die Augen sah. »Craven!« blaffte er. »Sind Sie vollends von Sinnen? Wie können Sie diesen Mann hier heraufbringen? Er …«
    »Es war mein eigener Wunsch«, unterbrach ihn Montague. Seine Stimme war so leise, dass sie nicht zu hören gewesen wäre, wäre es an Deck nicht so unnatürlich still gewesen. Trotzdem verstummte Bannermann sofort.
    »Robert hat mir von diesem Nebel erzählt«, fuhr er fort. »Und ich musste ihn sehen.« Er atmete hörbar ein, blickte an Bannermann und mir vorbei in den Nebel hinaus und ballte die Fäuste. Seine Lippen pressten sich zu einem dünnen Strich zusammen.
    »Wie lange geht das schon so?«, fragte er.
    Bannermann war sichtlich irritiert. »Was?«
    »Der Nebel«, erwiderte Montague ungeduldig. »Robert sagte, wir liegen seit Morgengrauen fest.«
    »Nicht ganz«, sagte Bannermann. »Der Nebel ist zwei Stunden vor Sonnenaufgang aufgezogen, aber der Wind hat sich erst später gelegt.« Er überlegte einen Moment. »Drei Stunden«, sagte er dann. »Vielleicht dreieinhalb.«
    »Dreieinhalb Stunden!« Montague erbleichte noch weiter. »Wir können nicht hier bleiben, Captain«, sagte er. »Das Schiff muss sofort Fahrt aufnehmen. Wir … sind alle in Gefahr, wenn wir auch nur noch eine weitere Stunde hier liegen.«
    Der Blick, mit dem Bannermann ihn maß, sprach seine eigene Sprache. Ich starrte den Captain durchdringend an und versuchte, den Kopf zu schütteln, ohne dass Montague es sah. Bannermann nickte ebenso unmerklich. Er hatte verstanden.
    »Ich weiß, was Sie jetzt denken, Captain«, sagte Montague leise. Er sah auf. »Und du auch Robert – aber ich bin weder verrückt, noch phantasiere ich. Ich weiß sehr genau, was ich sage. Das ganze Schiff ist in Gefahr, jedermann hier an Bord. Dieser Nebel ist kein normaler Nebel. Wir müssen hier weg!«
    Bannermann antwortete nicht sofort. Auf seinem Gesicht spiegelten sich widerstrebende Gefühle. Montagues Verhalten musste ihm ebensolche Rätsel aufgeben wie mir; aber wie ich kannte er Montague als einen Mann, der normalerweise nicht mit dem Grauen Scherze trieb. Und vielleicht spürte auch er das Fremde, Bedrohliche, das in diesem Nebel zu lauern schien.
    »Selbst wenn ich es wollte«, antwortete er vorsichtig, »könnten wir keine Fahrt aufnehmen, Mister Montague.« Er schüttelte den Kopf, um seine Worte zu bekräftigen, und wies mit einer flüchtigen Geste nach oben. Montagues Blick folgte seiner Bewegung. Die Segel hingen schlaff und schwer von Feuchtigkeit, mit der der Nebel sie getränkt hatte, von den Rahen.
    »Und es wäre auch viel zu gefährlich«, fügte Bannermann hinzu. »Diese Suppe ist so dicht, dass ich von hier aus nicht einmal den Bugsteven sehen kann. Ich kann das Schiff nicht blind segeln.«
    »Sie begreifen nicht«, sagte Montague erregt. »Ich meine es ernst, Bannermann! Das ist kein normaler Nebel, und wenn …«
    »Mister Montague«, unterbrach ihn Bannermann betont. »Es wäre vielleicht wirklich besser, wenn Sie in Ihre Kabine gingen und in aller Ruhe abwarteten, bis sich das Wetter geklärt hat.«
    »Sie glauben, dass ich verrückt bin.«
    Bannermann seufzte. »Das steht hier gar nicht zur Debatte, Mister Montague«, antwortete er, wobei er mir einen fast flehenden Blick zuwarf. Ich zuckte lautlos die Achseln und sah weg. »Ob ich Ihnen glaube, oder nicht – wir können uns gar nicht bewegen. Die LADY ist ein Segelschiff, Montague, und ein Segelschiff bewegt sich nun einmal nicht, wenn kein Wind weht. Wir liegen fest.«
    »Wir könnten rudern.«
    Bannermann verdrehte die Augen. »Das hier ist ein Segelschiff«, sagte er noch einmal. »Keine Galeere. Wie stellen Sie sich das vor?«
    »Es muss gehen«, beharrte Montague. »Wir haben vier Rettungsboote an Bord, und genügend Männer. Wenn sie die Boote aussetzen und die Männer rudern lassen, dann können sie das Schiff schleppen. Das geht zwar langsam, aber wir kommen von der Stelle!«
    Bannermann starrte ihn an. »Das ist nicht Ihr Ernst.«
    Montague nickte. »O doch, Captain, ich meine es ernst. Sogar todernst. Ich verlange gar nicht, dass Sie mir glauben. Wahrscheinlich täte ich es auch nicht, wenn ich an Ihrer Stelle wäre. Alles, was ich will, ist, dass Sie die Boote klarmachen und die Männer das Schiff aus diesem Nebel herausschleppen. Ein paar Meilen würden schon genügen. Sie verlieren unsere Spur, wenn wir uns bewegen.«
    »Sie sind
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