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Alpendoener

Titel: Alpendoener
Autoren: Willibald Spatz
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und kräftig.
Birne fragte sich, warum das nicht der blöde Enkel machen konnte, mochte aber
lieber schnell hier wieder raus und willigte ein.
    Die alte Frau, die sich als Frau Renate Zulauf vorstellte,
führte ihn in den Keller, wo ein meterhoher absolut uninteressanter
Wohnzimmerkasten stand.
    »Der wär’s. Schaffen Sie den?«
    »Kein Problem.«
    Birne machte sich dran und hasste sich vom ersten Augenblick
an. Er musste unbedingt an seiner Unhöflichkeit arbeiten. Er war zu gut zu den
Menschen. Was taten sie dafür?
    Umständlich und unter starkem Schwitzen schob er den Schrank
die Kellertreppe hoch. Frau Zulauf äußerte sich zunächst sehr positiv über die
Stärke Birnes , begann aber bald, ihn zu ermahnen, er
solle doch aufpassen, nicht zu oft die Wand zu touchieren, sie habe keine Lust,
neu lackieren zu lassen, so viel sei das Erbstück nun auch nicht wert.
    »Ich geb schon Obacht, keine
Sorge.«
    »Ich meine ja nur.«
    Schwer schnaufend knallte Birne den Kasten vor der
Eingangstür hin.
    »Was ist?«
    »Nur kurz schnaufen und Jacke ausziehen.«
    »Allein würde ich das nie schaffen.«
    »Das ist doch kein Problem.« Birne packte wieder an. Woher
kam diese ganze Höflichkeit auf einmal? Wollte er gut sein zu den Menschen?
Wollte er wieder Liebe geben? Schon möglich.

     
    Konnten sie nicht aufpassen? Die Eltern kamen
ums Eck. Die wohnten hier seit Jahren und wurden doch nicht gebeten von der
alten Frau, die sie jetzt übertrieben freundlich grüßte. Als ob sie Angst
hätte. Birne grüßte auch, so freundlich, wie es ihm die Last erlaubte. Ein
türkisches Ehepaar mit zwei wilden Kindern, nahm Birne unter Schwitzen wahr,
kam aus dem Erdgeschoss geschossen und zwängte sich an ihm vorbei.
    »Ausgesprochen nette Leute«, berichtete Frau
Zulauf. »Ich wohne hier seit 64 Jahren. Können Sie sich das überhaupt noch
vorstellen? Da war noch Krieg. So, jetzt haben wir es gleich. Mein Mann ist
1969 gestorben. Das war schlimm. Gott hab ihn selig. Und diese Familie wohnt
hier seit drei Jahren. Ausgesprochen nette Leute. Auch die Kinder grüßen immer
freundlich, wo man doch sonst immer meint, die Kinder von den Ausländern grüßen
nicht. Aber die hier grüßen. Wenn Sie das einfach dorthin stellen, mein Enkel
kommt die Tage noch mal vorbei und schiebt es dann richtig hin. Mei – vielen Dank. Warten Sie.«
    Birne hatte den blöden Kasten die zwei Treppen in den ersten
Stock getragen, hatte trotz Aufpassens mehrmals die Möbel im Gang der Wohnung
der Zulauf gestreift, war im Wohnzimmer angekommen und endlich erlöst worden.
Hier, dachte Birne, sah es aus, wie er es erwartet hatte. Ein grüner
Teppichboden, eine 20 Jahre alte Sitzgruppe, die mit nach Katzenhaar stinkenden
Decken belegt war. Den halben Bildschirm des Fernsehers, der in einer
dunkelbraunen Wohnzimmerschrankwand steckte, bedeckte ein gehäkeltes Tüchlein,
darauf standen Familienbilder, Enkelzeichnungen, Engelstatuen, eine Maria, eine
Pieta – jede freie Fläche des Schranks bedeckte Tand. Es stank nach
Altfrauenwohnung. Im Fernsehen lief jetzt die Tagesschau – Birne hatte den
Ladenschluss verpasst durch seine Freundlichkeit.
    »So.« Sie war wieder da mit einem Tablett aus der Küche,
darauf stand wiederum eine Flasche mit bescheuertem Likör, den Birne aus einem
verstaubten Glas zu trinken hatte. Außerdem bekam er zehn Euro geschenkt, die
er, so beschloss er, stehenden Fußes versaufen würde.
    »Allein hätte ich das nicht geschafft, ich bin alt, seit über
60 Jahren wohne ich hier. Einmal – im Krieg war das noch – hatten wir
Fliegeralarm. Und wir mussten uns im Keller verstecken. Können Sie sich das
vorstellen?«
    »Nein, danke für den Schnaps.«
    »Sie sind jung. Seien Sie froh, dass Sie jung sind. Das Alter
ist nicht schön, besonders nicht, wenn man einsam ist. Haben Sie eine Frau?«
    »Nein«, gab Birne zu.
    »Schauen Sie, dass Sie schnell zu einer kommen, Sie sind
jung, Sie bekommen schon noch eine. Einsam ist scheiße.«
    Da hatte die Alte recht.
    »Manchmal läuft’s halt nicht so,
wie’s soll.«
    »Das ist wahr. Wollen Sie noch einen Schnaps?«
    »Ein anderes Mal gern. Jetzt muss ich weiter, ich bin dringend
verabredet.«
    »Ich versteh schon, die jungen Leute.«
    An der Tür drehte sich Birne noch mal um: »Sagen Sie mal, die
Zeitung …«
    »Ja?«
    »Die kommt schon hierher, wenn man sie bestellt?«
    Frau Zulauf schaute ihn fest an, als ob etwas mit ihm nicht
stimme.
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