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Allmen und die Dahlien (German Edition)

Allmen und die Dahlien (German Edition)

Titel: Allmen und die Dahlien (German Edition)
Autoren: Martin Suter
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dreiseitigen Mustervertrag heraus und reichte ihn ihr.
    Sie zog eine schwarze Hornbrille aus der Handtasche und begann zu lesen.
    Allmen nahm einen Schluck Kaffee und sah seine Befürchtung bestätigt: Er schmeckte nach Kaffeemaschine.
    Frau Talfeld las konzentriert. Die senkrechten Falten zwischen den Brauen vertieften sich und die von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln auch. Allmen studierte ihr strenges Gesicht und versuchte, es sich zwanzig Jahre jünger vorzustellen. Es geriet ihm etwas glatter, aber nicht viel entspannter.
    Sie schien bemerkt zu haben, dass er sie beobachtete. Plötzlich hob sie den Blick und sah ihm in die Augen.
    »Verzeihen Sie«, sah er sich gezwungen zu sagen.
    Sie richtete ihren Blick wieder auf den Vertrag. Allmen versuchte, in eine andere Richtung zu blicken.
    Als sie geendet hatte, gab sie ihm das Papier zurück. »Der Vertrag bezieht sich auf eine Honorarvereinbarung. Haben Sie die auch dabei?«
    Allmen reichte sie ihr. Sie überflog sie und händigte sie ihm wieder aus. »Ich nehme an, das liegt im Rahmen des Branchenüblichen.«
    »An dessen oberer Grenze.«
    Frau Talfeld steckte ihre Brille zurück ins Etui, lehnte sich zurück und musterte ihn. »Wie sind Sie zu Ihrem seltsamen Beruf gekommen, Herr von Allmen? Liebe zum Geld, Liebe zur Kunst oder Liebe zur Gerechtigkeit?«
    »Zur Kunst, Frau Talfeld. Die anderen beiden bedeuten mir wenig.«
    Sie lachte kurz auf, dann sah sie ihn wieder prüfend an. Plötzlich griff sie nach ihrer Handtasche und erhob sich. »Ich werde Sie jetzt jemandem vorstellen.«
    Allmen stand auf und winkte dem Barmann.
    »Das geht in Ordnung, kommen Sie.«
    3
    In dem antiken Fahrstuhl wechselten sich Spiegel ab mit Vitrinen, in denen ein Juwelier, eine Parfümerie und ein Optiker ausstellten. Frau Talfeld steckte einen Schlüssel in ein Schloss über dem Knopf zum dritten Stockwerk. Der Lift setzte sich mit einem Ruck in Bewegung.
    »Sagt Ihnen der Name Dalia Gutbauer etwas?«, fragte sie.
    Der Name Gutbauer war Allmen natürlich ein Begriff. In seiner Kindheit stand er – mit einem stilisierten Sämann als Markenzeichen – auf jedem Kanaldeckel und Hydranten des Landes. Es war der Name eines Industrieunternehmens, das in den sechziger Jahren von dessen Hauptaktionär, Gustav Gutbauer, an einen multinationalen Maschinenkonzern verkauft worden war, welcher es aufgeteilt und sich einverleibt hatte. Gutbauer war kurz nach dem Verkauf gestorben, und das Erbe – es war die Rede von über einer halben Milliarde Schweizer Franken – ging an seine einzige Tochter, Dalia Gutbauer.
    Diese hatte nach dem Krieg bis in die späten fünfziger Jahre ein aufsehenerregendes Gesellschaftsleben geführt und war von einem Tag auf den anderen aus den Klatschspalten und Gesellschaftsnachrichten verschwunden. Ein wenig wurde noch über ihren Aufenthaltsort spekuliert – Chile, Kenia, Singapur –, aber bald richtete sich das Interesse wieder auf die Anwesenden, und der Name Dalia Gutbauer wäre vollends vergessen worden, wenn er nicht alljährlich in den obersten Rängen der Liste der hundert Reichsten des Landes aufgetaucht wäre. Mit einem Fragezeichen anstelle eines Fotos.
    Und jetzt tauchte er in diesem ruckelnden Aufzug auf.
    Allmen hatte sich schon als Junge für die High Society interessiert. Das mysteriöse Untertauchen der legendären Dalia hatte ihn fasziniert, auch wenn es vor seiner Geburt geschah. Dass jemand freiwillig auf ein Leben verzichtete, wie er es immer hatte führen wollen, war ihm schleierhaft gewesen.
    »Wenn ich mich richtig erinnere, war sie die untergetauchte Gutbauer-Erbin.«
    »Falsch.« Der Aufzug stoppte brüsk. »Sie ist es noch immer.«
    Die Lifttür glitt auf, und sie betraten eine Halle. Ein älterer Herr in einem Stresemann erwartete sie und bat sie, ihm zu folgen.
    Er führte sie in einen Salon, der Allmen, dem Art-déco-Sammler, die Sprache verschlug.
    »Madame Gutbauer wird gleich bei Ihnen sein«, sagte der Mann, »was darf ich Ihnen bringen?«
    »Für mich einen Espresso, bitte, Monsieur Louis«, sagte Frau Talfeld. Und mit einem Lächeln zu Allmen gewandt: »Der Kaffee hier oben ist nicht zu vergleichen mit der Brühe unten in der Lobby.«
    Allmen bestellte ein Perrier mit zwei Stück Eis und einem Schnitz Zitrone.
    »Hat sie all die Jahre hier gelebt?«, fragte Allmen, während sie warteten.
    Außer einem geheimnisvollen Lächeln erhielt er keine Antwort. Beide schwiegen, bis Monsieur Louis mit den Getränken zurückkam. Er
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