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Alles total groovy hier

Alles total groovy hier

Titel: Alles total groovy hier
Autoren: Jörg Juretzka
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Beginn-Stadium schon lange hinaus.
    Ein paar schlaglochvernarbte Serpentinen noch, und endlich kamen wir ans Meer hinunter, so kühl, so blau, so angenehm für das vom Asphalt geschundene Auge, so besänftigend für die Seele wie Salbe auf gereizter Haut. Scuzzi und ich trennen uns, entschied ich. Wir suchen in verschiedenen Richtungen, wir finden Schisser, wir finden das Geld, wir fackeln das verdammte Wohnmobil ab und ich fliege mit der nächsten Maschine zurück.
    »Hey, kuck mal, da drüben! Was ist das denn?« Scuzzi deutete mit allen Anzeichen einsetzender Euphorie.
    >Paradise Lodge< stand, grob in ein raues Brett geschnitzt, quer über der Einfahrt eines eingezäunten Geländes.
    »Ein Campingplatz«, stellte ich mit sorgfältig akzentuierter Sachlichkeit fest. Schwer zu sagen, was mich mehr zu entzücken vermag: der Anblick eines Campingplatzes oder der eines Dixi-Klos.
    Trotzdem ließ ich den Wagen ausrollen. Denn das hier, das Ende dieser Straße, war, was wir über Google und die Telefonauskunft als wahrscheinlichen Ort von Schissers letztem Anruf eingekreist hatten.
    »Wow,das sieht ja völlig abgefahren aus.«
    »Abgefuckt, wolltest du sagen.« Bunt, das war der erste Eindruck. Chaotisch und versifft, der zweite und dritte. Doch immerhin, wir waren da. Am Ziel, vorläufig. Ich klopfte den Starterknopf zurück ins Armaturenbrett, und der Diesel gab Ruhe.
    Dafür erklang Musik. Leise zwar, doch trotzdem unüberhörbar, penetrant. Scott McKenzie,aus einer Vielzahl über das Gelände verteilter Lautsprecher. Mit seinem einen, seinem einzigen, hunderttausendmal gehörten Hit.
    »Hey, coole Mucke«, fand Scuzzi, und ich senkte meine Stirn auf das Lenkrad.
    Eine Bar, dachte ich. Bitte, lass sie eine Bar haben. Verschattet von einer improvisierten Markise bestand die Rezeption aus einem ausgedienten militärischen Wachhäuschen und war unbesetzt. Bitte klingeln stand in sechs verschiedenen Sprachen neben einem Haken, dem jegliche Form von Klingeling-erzeugendem Instrument tragisch abging.
    »Hallo, ist hier jemand?«, rief Scuzzi, wie man das so macht. Wenn man keine Augen im Kopf hat. Oder sachte einen an der Waffel.
    Ich trat in den Schatten, rang mit meinem kolossalen Unwillen, hier zu sein, und sondierte das Gelände. Nur an den Rändern der Anlage wirkten die Dinge halbwegs mobil, standen ein paar fahrbar wirkende Autos, die weißen Schuhschachteln moderner Wohnmobile, dazwischen Kuppelzelte.
    Der Rest war Shanty-Town. Favela. Slum.
    Wellblech, Sperrmüll, Plastikplanen.
    Halb nackte Kinder, räudige Hunde, Hühner.
    Girlanden, Glaskugeln, Windspiele, Petroleumfunzeln baumelten, Graffiti und Murals verherrlichten kubanische Revolutionäre und den Freiheitskampf aller Unterdrückten, vorwiegend in Rot, Gelb, Grün und Schwarz. Das Ganze war umgeben von einem Maschendrahtzaun, der nicht so recht zu wissen schien, ob er Eindringlinge draußen oder aber die Bewohner drinnen halten sollte. Eine leichte Brise wehte vom Meer herein und nahm unterwegs die Aromen der in Strandnähe positionierten Toilettenanlage auf.
    So was wie den Mittelpunkt dieser Idylle bildete ein der Räder beraubter und auf Betonklötzen aufgebockter amerikanischer Ex-Schulbus, in psychedelischen Mustern bemalt, und auch ohne näher hinzusehen, wusste ich sofort, dass >Magie Bus( über seiner Windschutzscheibe stand. Ihn umgab, wie die Altstadt die Kirche, eine Ansammlung von Barackenheimen und mit wackeligen Anbauten versehener Wohnanhänger und Bauwagen, die allesamt einen gestrandeten, an Ort und Stelle resignierten Eindruck machten. Im Schatten einer alten Eiche fungierte ein aus Tischen, Stühlen und Bänken zusammengewürfeltes Oval als eine Art Freiluft-Mensa.
    Die Atmosphäre war friedlich, schläfrig, brüderlich-solidarisch, drogenlastig und schwer alternativ. Also eigentlich perfekt zum Relaxen, perfekt, mal das Haar herunter und den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen, sollte man meinen.
    Warum ich trotzdem steif vor Widerwillen dastand, kann daran liegen, dass mir jegliche Zusammenballung von Aussteigern seit jeher suspekt ist. Noch dazu bei räumlicher Enge in fremder Umgebung, und vor allem, wenn der Faktor Zeit dazukommt, Zeit als Gärfaktor für
    alle Arten von Neurosen und Psychosen. Dann noch eine Menge mit Sex und Drogen bekämpfte Langeweile mit in den Topf gerührt, und die Brühe fängt an zu stinken, zumindest für mich.
    Solange nicht klar war, wo sich Schisser aufhielt und wie es ihm ging, war mir hier alles
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