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Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)

Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)

Titel: Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)
Autoren: Colin Beavan
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war überhaupt nicht gut.
    »Daddy … Daddy … Daddy.«
    Die Geister umringten mich. Ich durfte nicht zulassen, dass sie mich überwältigten. Die Geister von Bing, von David, von Italien. Irgendwo in meinem Innern hatte sich eine Falltür geöffnet, und mein Körper wollte einfach aufgeben und hineinspringen. Wie war es möglich, dass es wieder geschah?
    Es gibt nur eines, was sinnvoll ist, hatte Pema Chödrön gesagt. Es gibt nichts, woran man sich festhalten kann, keinen sicheren Ort und nichts, was von Dauer ist. Es gibt nur eines, was sinnvoll ist.
    Endlich kam der Rettungswagen, und die Sanitäter baten um Licht, doch es gab nur die eine solarbetriebene Lampe, und wir waren so durcheinander, dass wir nicht auf die Idee kamen, einfach den Hauptschalter in der Küche wieder anzumachen. Wir hatten vergessen, dass es überhaupt Strom gab. Aber das war egal, denn jetzt hatte Isabella eine Sauerstoffmaske auf dem Gesicht. Ich trug sie auf meinen Armen, die Sirene ging los, und obwohl kein Verkehr war, fuhr der Rettungwagen unendlich langsam.
    Wie ich später erfuhr, brachte ungefähr zur gleichen Zeit ein anderer Rettungswagen ein kleines schwarzes Mädchen ins Krankenhaus. Sie hieß Sharon, war nur zwei Jahre älter als Isabella und kam aus der South Bronx. Sie hatte einen Asthmaanfall. Wie Studien gezeigt haben, leiden in der Bronx überdurchschnittlich viele Kinder an Asthma, und zwar wegen der zahllosen Transporter, die den gesammelten Müll von New York City in die dortigen Verbrennungsanlagen bringen.
    Schwingtüren flogen auf, wir sprangen aus dem Rettungswagen, und da lag die kleine Sharon mit einer Sauerstoffmaske auf einer Liege. Ihre Mutter saß neben ihr, unsere Blicke kreuzten sich, und ich stellte mir ihre Hilflosigkeit vor, während ihr kleines Mädchen immer wieder »Mommy …« wimmerte.
    Dann war es plötzlich vorbei, genauso schnell, wie es begonnen hatte.
    »Was immer damals in Italien passiert ist«, sagte der Arzt, »das hier war es nicht.«
    Isabella trug keine Maske mehr. Sie lief in der Kindernotaufnahme herum, entdeckte eine Eismaschine und fragte: »Daddy, kann ich ein Eis haben?«
    Während Isabella ihr Eis lutschte, erklärte uns der Arzt, es sei ein Fieberkrampf gewesen. Nichts Dramatisches. Manche Kinder bekämen so etwas, wenn sie hohes Fieber hätten. Später erzählte mir mein Vater, dass ich das als Kind auch gehabt hatte.
    Isabella trat an Sharons Bett. Sharon trug mittlerweile auch keine Sauerstoffmaske mehr. Sie nannte alle »Doktor«, auch mich und einen Patienten mit blutbeschmiertem Hemd. »Tschüss, Doktor«, sagte sie, als sie ging. Sie winkte Isabella zu, und Isabella winkte zurück.
    Isabellas Fieberkrämpfe würden irgendwann von selbst aufhören, aber die Narben in Sharons Lunge von den Abgasen der Mülltransporter würden nie wieder weggehen.
     
    Es klingt wie ein Happy End, aber die Geschichte ist noch nicht vorbei, denn Michelle war schwanger. Sie hatte ein zweites Kind gewollt und ich nicht, aber wir hatten russisches Roulette gespielt, und sie hatte gewonnen. Zuerst war ich alles andere als begeistert, aber das änderte sich bald.
    Wie hätte ich mich nicht freuen können? Eine zweite Isabella war unterwegs. Zwei Monate vergingen, ich hatte mich daran gewöhnt, dass Michelle schwanger war, und Freunde von uns, die mit zwei Kindern in einer Zweizimmerwohnung lebten, luden uns zu sich ein und versicherten uns, wir würden das schon hinkriegen. Ich hatte angefangen, mit Michelles Bauch zu reden, und auch Isabella dazu angestiftet. »Hallo, Baby, hier ist deine große Schwester.«
    Bei der Kontrolluntersuchung lachte Michelle, weil der Ultraschallscanner so kalt auf der Haut war. Dann sagte derArzt, es gäbe ein Problem, und er müsse sie noch einmal vaginal untersuchen, und dann sagte er nur: »Das Baby hat keinen Herzschlag.«
    Als Erstes fragt man in so einem Moment, was getan werden kann. Irgendwas muss man doch tun können. Doch man konnte nichts tun.
    Es war grausam. Ich hatte das Kind nicht gewollt, doch dann hatte ich mich an die Vorstellung gewöhnt, und schließlich hatte ich es geliebt. Und nun lag meine Frau da auf dem Stuhl und weinte. Ich nahm sie in die Arme. Sie trug einen Krankenhauskittel aus Papier, der hinten offen war, und sie gab keinen Ton von sich. Sie sah mich nur an, und ihre Augen waren wie zwei aufgeplatzte Früchte.
     
    Diese Zerbrechlichkeit brach mir das Herz. Im Behandlungszimmer dieses Arztes begriff ich, wie leicht unser Dasein
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