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Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)

Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)

Titel: Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)
Autoren: Colin Beavan
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fühlst dich nicht wohl dabei, stimmt’s?«, hatte Michelle mich gefragt.
    »Ja.«
    »Dann bleib zu Hause.«
    Ich brachte es einfach nicht fertig, wenige Tage nach dem Ende des Projekts in ein Flugzeug zu steigen.
    Also verbrachte ich die Woche allein in unserer Wohnung in New York. Ich lief ziellos umher, wusste nichts mit mir anzufangen. Abends saß ich im Wohnzimmer und war wütend auf mich selbst, weil ich das Licht angeschaltet hatte; dabei waren in all unseren Lampen mittlerweile überall Energiesparbirnen. Ich gestattete mir immer nur eine Lampe anzuschalten.
    Ich kam mir albern dabei davor und zugleich wie ein Heuchler, weil ich Licht anhatte, obwohl ich es nicht wirklich brauchte. Es war verrückt. Als wäre die Frage »Licht an oder Licht aus?« ein moralisches Dilemma.
    Mein Problem war, dass ich ein Jahr lang unter dem Joch zahlloser Regeln gelebt hatte. Mein Leben war in klaren Bahnen verlaufen, definiert durch das, was ich durfte und was nicht. Doch nun gab es keine Regeln mehr. Nur den Versuch herauszufinden, was wir davon auf sinnvolle Weise in unseren Alltag integrieren konnten, um ein ökologisches Gleichgewicht zu erreichen. Doch ohne die Grenzen, die mir die Regeln gesetzt hatten, fühlte ich mich orientierungslos.
    Es hat etwas Tröstliches, innerhalb von Regeln zu leben. In meinem Blog hatten mir Hunderte von Leuten geschrieben, dass sie nun auch Umweltregeln für ihren Alltagaufgestellt hatten. Mein Freund Rabbi Steven meinte, ich hätte so etwas wie »Öko-Kaschrut« entwickelt (Kaschrut sind die jüdischen Speisegesetze). Manchmal haben Regeln und Traditionen den Vorzug, dem Einzelnen ein Gefühl von Gemeinschaft und Bedeutung zu geben. Wer war ich ohne die Regeln meines Projekts?
    Zum Beispiel die Pizza, auf die ich damals verzichten musste, was mich so verbittert hatte. Ich aß sie auch jetzt nicht, weil sie immer noch auf einem Pappteller serviert wurde. Oder das Taxi, das mich trotz Regen trockenen Fußes von A nach B bringen konnte. Es verpestete immer noch die Luft, also nahm ich es nicht. Den Aufzug benutzte ich manchmal, aber ich hatte immer ein schlechtes Gewissen.
    Ich fühlte mich sehr einsam. Wer hätte diese seltsame Übergangsphase verstehen können, in der ich mich befand? Schließlich war nicht nur das Projekt zu Ende, sondern meine ganze Identität hatte sich in Luft aufgelöst. Gestern war ich noch der No Impact Man. Und heute? Der Moderate Impact Man?
     
    Was ich hier schildere, kommt mir selbst verrückt vor, aber es ist, wie Annie Leonard es in ihrem Online-Video
Story of Stuff
beschreibt: »Wir befinden uns in der grotesken Situation, dass wir zur Arbeit gehen, vielleicht sogar zu zwei Jobs, und abends, wenn wir nach Hause kommen, sind wir erschöpft, also lassen wir uns auf unser neues Sofa fallen und schalten den Fernseher ein, und die Werbespots sagen uns ›DU BIST EINE NIETE‹, also laufen wir los und kaufen uns etwas, um uns besser zu fühlen, aber dann müssen wir noch mehr arbeiten, um das Zeug, das wir gekauft haben, zu bezahlen, also sind wir noch erschöpfter, wenn wir nach Hause kommen, und wir sehen noch mehr fern und noch mehr Werbespots, die uns zum Einkaufen schicken, und so landen wir in diesem verrückten Teufelskreis von Arbeiten-Fernsehen-Kaufen. Dabei könnten wir einfach damit aufhören.«
    Wir könnten einfach damit aufhören.
    Irgendwo hatte ich einen Artikel über einen Vortrag von Pema Chödrön gelesen, bei dem sie in etwa Folgendes gesagt hatte: »Die meisten von uns in diesem Raum sind nicht so reich, dass wir uns über nichts Materielles den Kopf zerbrechen müssten, und wir sind nicht so arm, dass wir mit nichts anderem beschäftigt sind als damit, wie wir etwas zu essen bekommen. Also bedanken wir uns erst einmal für unsere mittlere Geburt.«
    Mit dieser »mittleren Geburt« meint Pema, dass wir weder in tiefste Armut noch in großen Reichtum hineingeboren sind. Armut kann solches Leid erzeugen, dass wir keine Kraft dafür haben, unser Leben näher zu betrachten. Oder wir sind so weit weg vom Leid und so verwöhnt vom materiellen Luxus großen Reichtums, dass wir zu selbstzufrieden sind, um unser Leben näher zu betrachten. Bei einer mittleren Geburt, die uns nur gemäßigte Härten auferlegt, erleben wir gerade genug Leid, um aufgerüttelt zu werden, aber nicht so viel, dass es uns erdrückt.
    Vielleicht hängt unsere Trägheit in Bezug auf die Umweltkrise unter anderem damit zusammen, dass wir in der westlichen Welt so bequem leben
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