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Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)

Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)

Titel: Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)
Autoren: Jürgen Mette
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verweigern? Warum hast du diese treuen Arbeiter in meinem Kopf gegen mich aufgehetzt? Gehen die nach und nach alle in den unbefristeten Streik?
    P., ich hasse dich! Und ich werde dich täglich verachten. Ich denke nicht daran, mit dir mein Leben zu teilen. Ich dementiere die Demenz, du Totengräber der Hoffnung auf einen schönen Ruhestand.
    Was wollte ich nach dem aktiven Berufsleben noch alles tun! Meinen Söhnen Häuser bauen oder Wohnungen einrichten, unser eigenes Haus gründlich renovieren, den Garten neu anlegen – endlich so, wie meine Frau es sich seit 30 Jahren wünscht. Sie hat romantische Gartenphantasien – bei mir muss es praktisch sein. Sie träumt von Rosenlauben, während ich frage, ob das alles rasenmäherkompatibel ist. Ich gehe gern mal mit der Kettensäge in den Garten, sie mit der Rosenschere. Aber im Ruhestand wollte ich sie glücklich machen, dann sollte sie ihren Traumgarten bekommen.
    Und Europareisen wollte ich machen: Fahrradtouren von Passau nach Wien und die E-5-Bergtour von Meran nach Oberstdorf oder den GR 20 von Calenzana nach Conza auf Korsika. Warum habe ich die schönen Dinge des Lebens immer vor mir hergeschoben?
    Nun kann ich diesen Wunschzettel auf ein Seniorenprogramm zusammenstreichen. Als Fahrradfahrer – vielleicht bald mit dem E-Bike – auf der Rentnertrasse an der Lahn entlang und mit der Seilbahn auf die Zweitausender.
    Wie habe ich früher über die Turnschuh-Alpinisten mit ihren Spazierstöcken und Trachtenanzügen gelästert, wenn sie – mit Kameras behangen – aus der Gondel auf die Terrasse der Bergstation gespuckt wurden, um ein paar Meter Trampelpfad mit ihrer Leibesfülle zu verdichten und der ohnehin strapazierten und kümmerlichen Flora den Rest zu geben. Bin ich auch bald einer dieser schnaufenden Edelweißkameraden, die oberhalb der Baumgrenze ihr Hefeweizen schlürfen und deftigen Schweinsbraten mit Knödeln verdrücken? Noch schnell ein Gruppenbild vor der grandiosen Bergkulisse und dann ab in die Gondel talwärts.
    Inzwischen schäme ich mich für solche Spötteleien. So schnell kann es gehen, dass man von der bösartigen Karikatur in die Wirklichkeit eines betagten oder behinderten Menschen befördert wird. Diese Einsicht tut weh und stopft endgültig das Lästermaul. Welch langweilige Perspektive für meine unerfüllten alpinen Träume …
    Inzwischen lerne ich zaghaft, mit der Heimtücke dieser bescheuerten Krankheit zurechtzukommen. Ich beginne mich allmählich dem deprimierenden Befund zu stellen. Das ganze Ausmaß der potenziellen Symptome ist mir zum Glück noch verborgen.

2.
Signieren statt resignieren!
    Im Sommer 2011 las ich das Buch eines an Parkinson leidenden Autors. Zunächst war die Lektüre sehr berührend, doch irgendwann spürte ich einen depressiven Sog. Das Buch zog mich runter. Am Ende war mein Gemüt so belastet, dass meine Frau mir riet, das Buch wegzulegen. Und plötzlich war da auf einmal die Idee, es selbst einmal zu versuchen. Statt zu resignieren, könnte ich selbst signieren, zeichnen, kenntlich machen.
    An meinem 60. Geburtstag hielt unser ältester Sohn eine bewegende Rede für mich. Er sagte: »Vater, wir wollen bald ein Buch von dir sehen!« Das war der zweite Impuls, jetzt deutlicher und klarer als vorher.
    Schließlich habe ich mich vom Verleger ermutigen lassen, etwas von meinen Erfahrungen mit P. niederzuschreiben, obwohl ich noch eine lange Wegstrecke vor mir habe und es mir bis heute relativ gut geht. Aber jetzt bin ich so weit.
    Ich schreibe keine Memoiren. Wer das tut, hat laut Oscar Wilde etwas zu verbergen. Ich habe keine Lust, mein Leben öffentlich zu machen. So spektakulär ist es ja auch nicht. Außerdem gibt es viel dramatischere Lebensschicksale, viel schwerere Krankheiten, viel traurigere Parkinsonverläufe. Ich habe gerade das Buch von Samuel Koch 2 gelesen, dem schwer verunglückten »Wetten, dass..?«-Kandidaten. Der Mann hat was zu berichten. Sein Schicksal lässt mich zweifeln, ob meine Krankheitsgeschichte überhaupt lesenswert ist.
    Und was ist, wenn alles schlimmer wird und ich vielleicht meinen Job nicht mehr ausüben kann? Wenn existenzielle Sorgen dazukommen? Was ist, wenn das Trostbuch auf den Markt kommt und der Tröster inzwischen nicht mehr ganz bei Trost ist?
    Ich schreibe auch keine Autobiografie. Die eigentlichen Reifeprüfungen des Lebens liegen wahrscheinlich erst noch vor mir. Wer weiß, ob ich sie bestehe? Soll ich jetzt schon schreiben, wo alles noch so frisch ist, so
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