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Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)

Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)

Titel: Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)
Autoren: Jürgen Mette
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dieser unklaren Kommandostruktur eine ziemlich unansehnliche Sache. Wo ich doch so gern Spaghetti esse und auch gern weiße Hemden trage.
    Irgendein Teil meines Nervensystems spinnt und verweigert mir zunehmend den Gehorsam. Ich bin nicht mehr selbstbestimmt. Ich teile die Steuerung meiner Bewegungsabläufe mit einer mir unbekannten Macht. Da hört nicht irgendeine Körperfunktion auf zu funktionieren; darauf könnte ich mich ja vielleicht noch einlassen. Was mich so verrückt macht, ist die Entdeckung, dass mein Organismus ohne mein Einverständnis eine neue Motorik entwickelt, die nicht nur völlig überflüssig und unbrauchbar ist, sondern auch furchtbar lästig. Wer braucht die zusätzliche Fähigkeit, am ganzen Leib zu zittern? Der virtuose Violinist vielleicht, der beim Vibrato eine zittrige Hand am Griffbrett nötig hat, aber doch nicht ich. Was ist das? Und warum kann ich diesem unheimlichen Muskelwahnsinn nicht mit einem klaren Befehl aus dem Gehirn den Saft abdrehen? Ich kann diesen Reflex nicht abstellen. Es gibt keinen Schalter. Ich ahne, was Menschen mit Restless-leg-Syndrom durchmachen, die, sobald sie sich hinlegen, unruhige Beine bekommen und keinen Schlaf finden.
    »Na, was fehlt dir denn?« »Mir fehlt nichts! Im Gegenteil, ich kriege einen zu viel. Ich habe noch eine Körperfunktion dazubekommen. Ich kann zittern, ohne dass mich einer mit der Waffe bedroht.«
    Das konnten bisher nur zwei: der Schweizer Schauspieler Bruno Ganz, der in dem Film »Der Untergang« den parkinsonkranken Adolf Hitler spielte. Wie hatte der diesen permanenten Reflex bloß trainiert, den ich mir so gern abtrainieren würde?
    Und das kann in hinreißend komischer Perfektion der fränkische Comedian Volker Heißmann vom Kabarett-Duo »Rassau und Heißmann« aus Fürth, wenn er »das Mariechen« spielt, eine kauzige Zitteroma. Das ist der beste Parkinsonimitator überhaupt. Nur, der kann den Tatterich hinter der Bühne abstellen. Ich nicht!
    Das alles verunsichert mich heftig . Aus Verunsicherung wird Angst, aus Angst wird Panik, aus Panik wird Zorn. Und Zorn klingt nur ab, wenn sachliche Informationen die Emotionen runterkühlen. Darum gab ich nachts im Hotelzimmer auf der Wartburg das Stichwort »Parkinson« in eine Internetsuchmaschine ein und las zum ersten Mal etwas über diese Krankheit. Nur ein paar Fragmente. Schnell wieder raus aus den Fachartikeln und der Selbsthilfe-Betroffenheitsliteratur. Ich will mich nicht damit befassen. Das würde mich nur runterziehen. Aber ich verlasse den Laienstand und unterziehe mich widerwillig dieser medizinischen Lektion. Ich lerne einige Symptome namentlich kennen, die mich für den Rest meines Lebens beschäftigen werden.
    Tremor? Nie gehört. Was ist das? Zittern im Ruhezustand. Na ja, immerhin besser als gelähmt.
    Dopamin? Ein biogenes Amin aus der Gruppe der Katechomaline. Verstehe! Ein wichtiger Neurotransmitter, im Volksmund auch Glückshormon genannt. Damit bin ich offenbar reichlich gesegnet, ich glückliche Frohnatur, so meine erste laienhafte Wahrnehmung. Tatsache ist allerdings, dass es mir an Dopamin fehlt. Das Gleichgewicht der verschiedenen Botenstoffe ist gestört.
    Transmitter? Botenstoffe? Ich wusste gar nicht, dass das Zeug mobil ist. Was man jetzt alles erfährt.
    Meine laienhafte Phantasie malt sich aus, dass diese Botenstoff-Spediteure streiken. Wegen Eiweißablagerungen in den Gehirnzellen? Klingt eigentlich gar nicht so gefährlich. Morgen früh lieber kein Frühstücksei köpfen? Quatsch! Eiweiß im Hirn hat nichts mit Eiweiß in der Omelette-Pfanne zu tun.
    Ich falle in die Kissen des komfortablen Hotelbetts, schreie lautlos zu Gott und finde keinen Schlaf. Der geheimnisvolle Herr P. ist in mein Leben getreten. Ich schieße mich zornig auf ihn ein, personifiziere ihn, nenne ihn beim Namen. Dieser P. scheint fest entschlossen zu sein, mich zu einem Behinderten zu machen. Für immer!
    Wer bist du, Unbekannter?
    Wann hast du dich heimlich in mein Leben geschlichen?
    Wo hast du dich so lange versteckt, du Dämon der alten Leute, du Quälgeist der Tattergreise?
    Hau gefälligst ab, du Undercover-Agent der neuen dementen Gesellschaft! Du kommst viel zu früh. Melde dich noch mal, wenn ich 80 bin. Da zittern fast alle.
    Wer gibt dir das Recht, in meinem Kopf Blockaden zu errichten?
    Was geht dich der Eiweißgehalt meiner Gehirnzellen an, Fremder?
    Wer hat dir erlaubt, meine Dopamin-Transmitter heimlich zu beeinflussen, sodass diese ihre Transportarbeit zunehmend
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