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Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Titel: Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
Autoren: Tuvia Tenenbom
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Mitbruder mit einer Antwort aufwartet. Was er, so sicher wie das Exil, schließlich auch tut:
    »Darüber könnte man ein ganzes Buch schreiben.«
    Genial. Genau die Antwort, die ich erwartet habe. Wir Juden verstehen uns. Geduldig warte ich auf seine näheren Erläuterungen.
    Gib einem Juden Zeit für nähere Erläuterungen, und er wird sie sich nehmen.
    Herr Zweiter Jude spricht mit mir über die Landessprache. Über Literatur. Über das kollektive Gedächtnis. Er erzählt mir, daß Völker dazu neigen, stolz auf die guten Dinge in ihrer Geschichte zu sein, und daß dies auch für die Deutschen gilt. »Doch die Deutschen schämen sich für zahlreiche Ereignisse in ihrer Geschichte. Nehmen wir zum Beispiel den Holocaust. Das Wort steht für einen ganzen Komplex von Ereignissen.«
    Und sie leben ihn bis zum heutigen Tage aus.
    »Die Deutschen«, sagt er, »halten sich zurück, wenn sie über den Konflikt zwischen den Arabern und Israelis urteilen sollen, weil sie befürchten, als Antisemiten bezeichnet zu werden.«
    Klar und deutlich faßt er es für den Ersten Juden zusammen:
    »Der Holocaust ist Teil von Deutschlands kulturellem Erbe und wird dies auch bleiben.«
    Sollten Sie je daran gezweifelt haben, daß dieser Mann tatsächlich ein Jude ist, können Sie jetzt sicher sein: Er ist ganz klar ein Jude. Was mich, wie es zwischen zwei plaudernden Juden üblich ist, zu der Frage veranlaßt:
    Wie lange wird dies Teil des deutschen Erbes bleiben?
    Juden, falls Sie es noch nicht wußten, beantworten eine Frage mit einer Gegenfrage. Und so fragt der andere Jude, um die Tradition zu wahren:
    »Wie lange ist es her, daß Nebukadnezar die Juden aus Jerusalem vertrieben hat?«
    2000 Jahre, sage ich.
    Kein Jude würde je die Antwort eines anderen Juden akzeptieren, ohne sie zu korrigieren. So auch Rabbi Helmut:
    »Fünfundzwanzighundert Jahre. Über fünfundzwanzighundert Jahre.«
    Jetzt verstehe ich die Antwort. Wenn wir, die Juden, 2500 Jahre trauern, sollen die Deutschen doch mindestens genausolang trauern. Und um sicherzustellen, daß ich es auch wirklich richtig verstanden habe, fügt der Rabbi hinzu:
    »Der Holocaust wird« von den Deutschen »mindestens genausolange erinnert werden. Jahrhundertelang, jahrtausendelang – er wird bleiben. Ich hoffe doch, daß diese absehbare Zukunftstatsache die Deutschen davon abhalten wird, jemals wieder Neigungen zu solchen Verbrechen zu entwickeln.«

    Eine weitere Gewohnheit der Juden, falls Ihnen das nicht bewußt sein sollte, besteht darin, historische Geschehnisse auf die Gegenwart zu beziehen und vergangenen Kummer mit gegenwärtigem zu vermischen. Also bitte ich meinen Rabbi, mir die Gewaltausbrüche bei den Demos in Hamburg zu erklären.
    Wie es die rabbinische Tradition gebietet, beginnt der Rabbi, indem er seine Bescheidenheit bekundet:
    »Ich kann dazu nichts sagen, weil ich nicht dabei war, ich weiß es nicht.« Und nun, da wir die Übung in Bescheidenheit absolviert haben, fährt der Rabbi – wie es Tradition ist – fort, um tatsächlich zu antworten und DAS WISSEN ZU VERBREITEN. Er sagt: »Ich habe jedoch in den Zeitungen gelesen, daß sie übers Internet von überallher Leute organisiert haben, die nach Hamburg kommen sollten, um sich einen Spaß aus der Anwendung von Gewalt zu machen. Nicht wenige von ihnen sind gar keine Deutschen. Nicht wenige von ihnen haben einen türkischen Hintergrund. Manche hätte man früher alsAnarchisten bezeichnet. Aber nicht im ideologischen Sinne. Es sind bloß junge Leute, die grundsätzlich keine Form von Autorität akzeptieren. Man sieht das in den Pariser Vorstädten und in manchen Vierteln Londons. Ich glaube nicht, daß es sich um ein spezifisch deutsches Phänomen handelt. Das hat mit den elektronischen Medien zu tun. Wenn es kein Fernsehen gäbe, wenn es kein Internet gäbe, wäre es wesentlich schwieriger, solche Dinge zu organisieren.«
    Vielleicht sind Sie selbst schon drauf gekommen, aber mein jüdischer Mitbruder und meine Wenigkeit rauchen unentwegt, während wir uns unterhalten. Ich weiß nicht wirklich, ob die Gesetzeslage in diesem Land das erlaubt oder nicht, aber eines muß jetzt sofort klargestellt werden: Niemand in Hamburg wird zwei rauchende Juden aufhalten. Vergeßt es. Wenn irgend jemand es versucht, wird er sofort des Antisemitismus bezichtigt. Und das braucht kein Deutscher in seinem Lebenslauf.
    Und so frage ich ihn zwischen zwei Zügen:
    Sind Sie stolz darauf, Deutscher zu sein?
    »Ich habe nie den
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