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Alle Vögel fliegen hoch

Alle Vögel fliegen hoch

Titel: Alle Vögel fliegen hoch
Autoren: Michaela Seul
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mussten hier raus. Dann hätte ich eine Chance. Aber war er wirklich so blöd? Das Handy half ihm doch gar nichts! Kapierte er nicht, dass ein Film kopiert werden konnte? Er fuchtelte mit dem Messer vor mir herum.
    »Fotze!«, spuckte er mir ins Gesicht.
    Ich hätte ihn töten können. Ohne nachzudenken. Einfach so. Wenn ich die Gelegenheit gehabt hätte. Die Folgen wären mir scheißegal gewesen. Ich hasste ihn. Mit jeder Faser meines Körpers. Blanker Hass, wie ich ihn mir nicht zugetraut hätte. Ich kannte mich nicht mehr.
    Er versetzte mir einen Stoß und griff zu der Rolle mit dem Klebeband. Er brauchte beide Hände, um einen Streifen abzureißen. Ich sprang zurück, drehte mich, schleuderte mein Bein weit nach oben, bis fast in den Spagat und donnerte ihm meinen Fuß auf das Kinn. Es knirschte. Er ging zu Boden. Ich jagte ihm mein Knie in den Unterleib. Im Fallen packte er meine Knöchel, bekam sie nicht zu fassen, rutschte ab, brüllte wie ein Tier. Ich sprang zurück und versetzte ihm mehrere Fußkicks. Leider traf ich nicht punktgenau. Tritte wie Fliegenschiss. Schlecht, Franza, ganz schlecht. Ich rannte zur Tür durch die panisch flatternden Tauben und rannte mitten hinein in den Opa. Ein Gewehr im Anschlag blockierte er den Ausgang.
    »Was is hier los?«, fragte er.
    Der Mann rappelte sich auf. »Rudi?«, entfuhr es ihm. In seiner Stimme blubberte Blut.

    »Wos hier los is? Wos macht die Frau do?«
    Bedrohlich kam der Opa auf mich zu. Ich wich zurück.
    »Rudi!«, stammelte der Mann.
    »Wieso host du die Frau gschlogn?«
    »I hob’s für di gmacht. Zwengs da Sarah.«
    »Lass die Sarah ausm Spui. I wui wissn, wos do los is!«
    Der Mann riss sich die Maske vom Gesicht, eine blutverschmierte Masse. Ich erschrak. Auch Opa erschrak. Wütend funkelte er mich an. Wieso war er schon wieder nüchtern? Wie viel Zeit war vergangen? Drang da ein Schimmer Morgenlicht in den Dachstuhl, oder bildete ich mir das ein?
    Der Mann rappelte sich hoch und kam auf mich zu, ballte die Faust.
    »Lass’ in Ruah!«, befahl der Opa. Er wandte sich mir zu. »Sie ham Eanan Hund gsuacht? Der liegt vorn auf der Landstraß. Der is bloß no Matsch.«
     
    Ich würgte und kippte um. Als der Mann mit seinen blutigen Händen an meinem Gesicht herumfummelte, wollte ich tot sein. Er verklebte mir den Mund und fesselte mich.
    »Die Daum miassn in Schlog«, befahl der Opa. »So a Unruhe, des is doch nix. Wia schaugt’s denn do aus! Und dann mecht i wissen, wos do los is.«
    »I vazähl dia ois. Glei.«
    Der Mann schleifte mich in eine Ecke und ließ mich fallen. Ich hörte die Schritte der beiden auf der Treppe und dann nichts mehr. Nur das Gurren und Flattern. Und Flipper war tot. Als er Hilfe holen wollte. Wie Lassie. Lassie hatte immer Hilfe geholt, obwohl Hunde eigentlich bei ihrem Rudel bleiben. Lassie war Lassie. Und Flipper war Flipper. Er hatte es
versucht. Sich irgendwie durchgeschlagen. Für mich. Ich würgte, und es schüttelte mich und ich weinte gotterbärmlich und war ganz allein, und Flipper war tot, und ich wollte auch tot sein. Ich hatte ihn weggeschickt, ich war schuld – an allem. Ich war immer wieder zum Hochsitz gefahren, ich hatte in das Haus von Klaus Hase einziehen wollen, Flipper wollte das alles nie, das hatte er mir von Anfang an deutlich gezeigt, aber ich hatte nicht auf ihn gehört, dennoch war er immer mitgefahren, mitgegangen, treu an meiner Seite, bis zum Schluss. Leben ohne Flipper? Das war kein Leben. Es war mir egal, wenn ich erstickte an meinem Rotz, alles war mir egal. Ich hatte Flipper weggeschickt, und er hatte alles versucht, alles gegeben, aber er war vielleicht zu erschöpft für diese große Aufgabe. Und er war doch bloß ein Flipper. Keine Lassie.
     
    Er hätte zum Hochsitz laufen müssen. Keine Ahnung, wie weit entfernt das war. Am Hochsitz hätte er bestimmt Polizei getroffen. Die ihn hoffentlich nicht für einen wildernden Hund hielt. Die Polizisten hatten sich als Jäger verkleidet und hockten mit Ferngläsern vor den Augen in den Bäumen.
    »Hey! Was ist denn da? Kuck mal, der Hund.«
    »Der schaut genauso aus wie der Hund von der Auffinderin, erinnerst du dich an den, so ein großer Schwarzer?«
    »Funk den Kommissar an.«
     
    »Nicht schießen!«, würde Felix rufen. »Ich bin gleich da!« Und er käme angaloppiert auf einem prachtvollen schwarzen Hengst mit wehendem Schweif.

    »Flipper! Wo ist Franza?«, würde Felix fragen, und Flipper würde losrennen, die Rute auf work in progress
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