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Alle sieben Wellen

Titel: Alle sieben Wellen
Autoren: Daniel Glattauer
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sie einnahm, wie sehr sie darauf bedacht war, ihr Geheimnis zu schützen, in der Faust zu verbergen.
    Pamela muss es schließlich bemerkt haben. An jenem Abend griff sie energisch nach meiner abweisenden linken Hand, bemühte sich mit allen Mitteln, meine Faust zu öffnen, machte daraus ein Spiel, lachte angestrengt, erhöhte den Druck, kniete auf meinem Unterarm. Erst hielt ich mit Kraft dagegen. Aberschließlich erkannte ich meine Ohnmacht, unser großes Ganzes auf Dauer unter fünf Fingern verstecken zu können. Ich befreite meine Hand ruckartig aus ihrer Umklammerung, öffnete die Faust, hielt ihr die Hand vors Gesicht und sagte gereizt – ich fühlte mich elend, ausgeliefert, gedemütigt, verärgert, überführt: »Da, da hast du! Bist du jetzt zufrieden?« Sie war bestürzt, fragte, was mit mir plötzlich los sei, ob sie denn irgendetwas Falsches gesagt oder gemacht hätte. Ich beließ es dabei, mich zu entschuldigen. Pamela hatte keine Ahnung, wofür. Danach konnte ich nicht mehr anders: Ich erzählte ihr von dir.
    Eigentlich wollte ich zunächst nur deinen Namen aussprechen und spüren, wie es mir dabei erging. Ich habe die kleine Sage von der Unbeugsamkeit der siebenten Welle zum Anlass genommen zu erwähnen, dass sie mir erst kürzlich wieder zugetragen wurde – »von Emmi, einer guten Bekannten«. Pamela war sofort hellhörig und fragte: »Emmi? Wer ist das? Woher kennst du sie?« Da hat sich eine Schleuse geöffnet, und es ist eine gute Stunde in einem Schwall aus mir herausgesprudelt, bis alles über uns verraten war. Das war tatsächlich, wie zum Exempel, eine dieser aufsteigenden, aufschäumenden, umstürzenden siebenten Wellen, wie du sie beschrieben hast. Eine Welle, die ausbrach, um zu verändern, um die Landschaft neu zu formen, sodass nachher nichts wie vorher war.
    Angenehmen Badevormittag! Leo.
     
    Drei Stunden später
    Betreff: Abschied
    2.) Was danach war? Nicht mehr viel. Ebbe. Flaute. Schweigen. Betretenheit. Kopfschütteln. Misstrauen. Kälte. Zittern. Schüttelfrost. Ihre erste Frage: »Warum sagst du mir das alles?« Ich: »Ich dachte, du solltest es endlich wissen.« Sie: »Warum?« Ich: »Weil es zu meinem Leben gehört hat.« Sie: »Es?« Ich: »Emmi.« Sie: »Hat?« Ich schwieg. Sie: »Ist es für dich abgeschlossen?« Ich: »Wir sind Freunde geworden, wir schicken unsE-Mails, gelegentlich. Sie ist wieder glücklich liiert mit ihrem Mann.« Sie: »Und wenn sie das nicht wäre?« Ich: »Sie ist es.« Sie: »Liebst du sie noch?« Ich: »Pamela, ich liebe dich! Ich ziehe mit dir nach Boston. Ist das nicht Beweis genug?« Sie lächelte und strich flüchtig mit der Hand über meinen Hinterkopf. Ich konnte mir zusammenreimen, was in ihr vorging. Danach stand sie auf und ging zur Tür. Noch einmal drehte sie sich um und sagte: »Eine letzte Frage: Gibt es mich nur wegen ihr?« Ich zögerte, ich dachte nach, ich sagte: »Pamela, nichts ist ohne Vorgeschichte. Nichts ist nur aus sich selbst.« Da verließ sie das Zimmer. Damit war das Thema für sie erledigt. Ich unternahm mehrere Anläufe, mit ihr darüber zu reden. Ich sehnte eine Aussprache herbei, hätte auch ein schweres Hagelgewitter mit Flurschäden in Kauf genommen, damit endlich wieder ein klarer Morgen anbrechen konnte. Vergeblich. Pamela blockte jedes Gespräch ab. Es gab keinen Streit, keinen Vorwurf, kein böses Wort, auch keine bösen Blicke. Nein, es gab gar keine Blicke mehr, nur noch Streifschüsse. Ihre Stimme kam wie vom Tonband. Ihre Berührungen schmerzten, je weicher sie wurden. So taten wir weiter, als wäre nichts geschehen. So quälten wir uns durch mehrere Wochen, miteinander, nebeneinander, gemeinsam, synchron. Bis ich endlich begriff: Ich hatte Pamela nicht nur deine und meine Vorgeschichte erzählt. Ich hatte ihr gleichzeitig auch ihre und meine Geschichte erzählt. Und die hatte ich zu Ende erzählt. Da blieb uns nur noch der Abschied.
     
    Am nächsten Morgen
    Betreff: So, so, so traurig!
    Hallo Leo, ich würde uns beide jetzt gerne mit irgendeiner kecken Blödsinnigkeit vom Inhalt deiner E-Mail ablenken. Aber diesmal schaffe ich es nicht. Ich hasse Geschichten, die schlecht ausgehen, überhaupt in der Früh. Du hast mich zum Heulen gebracht, und ich kann mich nicht mehr zurückhalten. Der Typ neben mir, den die Nacht hier vergessen hat, dermit der Zahnspange über der Augenbraue, hat aus Solidarität sogar seine Zigarette auf halber Strecke ausgedämpft. Leo, ich finde das alles so, so, so schrecklich
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