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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot
Autoren: C Erdmann
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Mondän gewandete junge Hofdamen pflegten den anwesenden Jünglingen eher kalte Schultern zu zeigen, harrten sie doch der Gunst der Vortragskönige, die ihrem Gefolge alle Wunder und Geheimnisse der Malerei, der Zeichenkunst und der Architektur, der Bildhauerei und zuweilen gar der Altarschnitzerei ans Herz zu legen wußten. Eine gerade noch anziehend wirkende Arroganz lag auf manchem Antlitz, eine gerade noch das Abgeschmackte vermeidende Geziertheit zeichnete die exklusiven Gesten aus. Aljoscha registrierte das exquisite Fluidum dieser feudalen Geschöpfe, zog es jedoch vor, den Charme der Bourgeoisie von weitem zu besichtigen. Er ließ sich nicht verführen von der perlenden und prickelnden Hochgestimmtheit, sonderngab sich undurchsichtig, auf lumpenproletarische Weise mürrisch und so, als wäre er einfach gegen alles. Er, der Knappe einer Königin, sollte danach trachten, Einlaß zu finden in die Kaste dieser Emporkömmlinge? Im Leben nicht. So hörte er sie schwatzen von ihren Soireen und der Sprache der Giebel bei Bernini, wußte sich umgeben von preziösen Manierismen, deren Reiz er keineswegs bestritt, doch er entzog sich dem ganzen Ballgeflüster. Er war kein Bestandteil hier, kultivierte stolz sein Hofnarrentum und schwieg.
    Professor Martin Warnkin war der Hochkönig der Vortragskönige, der versierteste Ordinarius, die Koryphäe; zukünftiger Weltruhm umschwebte sein Haupt. Warnkin war ein äußerst feinsinniger, keineswegs schmächtiger, dennoch seltsam unrobust wirkender Mann, dessen Genius klar bewies: das Laute ist das Illusionäre. Seine Stimme dröhnte nicht, sie vibrierte, delikat, nervös und beinahe schreckhaft, was daran erinnerte, daß Fakten sehr zerbrechlich sind. Dabei verschaffte diese Stimme einer staunenswerten Keckheit der Gedankenführung Geltung, die jeden dünkelhaften Dogmatismus mühelos erledigte: als würde man mit dem kleinen Finger einen Preisboxer niederstrecken. Warnkin wußte sich mit dem Polysemantischen zu arrangieren, ohne die Mona Lisa gleich für Leonardos bestes Jesusbild zu halten.
    Aljoscha hegte große Sympathie für diesen Mann, der es nicht nötig hatte, mit faden Scherzen um die Gunst des Publikums zu buhlen oder sich großspurig vor allen Leuten mit seinem Wissensschatz abzuküssen. Wenn Warnkin den Versicherungswert eines bedeutenden Gemäldes ansprach und dann erklärte, in einer fremden und seltsamen Welt gehört zu haben, daß die Beine italienischer Fußballer noch um ein Vielfaches höher versichert seien, dann ahnte man hinter der milden Nachsicht, die auch dem Trivialen einen Platz einräumte, den gleichen Sinn für die Gegensatzlosigkeit alles Seienden wie bei Zen-Meister Huang-Po, den ein Schüler fragte: „Was ist die Essenz des Buddha?“ und dessen Antwort lautete: „Die Klosettbürste“. Jäher Naturalismus markierte freilich die Entrücktheit als Warnkins eigentlichen Ort nur noch deutlicher, und seine oftmals völlig zerfahrenen Konfrontationen mit der Zuhandenheit des Zeugs, wie Heidegger es nennt, waren Lehrstücke in Velleität: kraftloses Wollen, das nicht durchgreift. Ein verschobener Projektor, der Rembrandts Gemälde ziellos durch den Hörsaal warf, ließ Warnkin geistesabwesend mit den Händen gegen die Wand drücken, als wolle er statt des Projektors den ganzen Saal zurechtrücken, was am starrenAnsich der Dinge, dem en-soi, wie Sartre es nennt, scheitern mußte. Ein Zeigestock in seiner Hand litt große Not, ebenso die Lesebrille, die er während seines Vortrags ungezählte Male abnahm, um sie beim Gestikulieren mitzuschwenken, sie dann wieder für ein Minütchen aufzusetzen und schließlich erneut nachdruckverleihend mit ihr zu winken. Mit der letzten Vorlesung des Semesters hatte er das Ding endlich kaputtgefummelt.
    Dieser brillante Gelehrte, der ein vielgerühmtes Werk über den Typus des Hofkünstlers verfaßt hatte, dieser edle Humanist, der jeder Renaissance zur Zier gereicht hätte, dieser geistreiche Exeget, vor dem sogar der alte Rembrandt seinen Humpen hob, ein gerötetes Auge zusammenkniff und anerkennend mit dem Kopf nickte, besaß noch eine weitere, ihm selbst ganz unbekannte Eigenheit: es handelte sich da um einen Status, der ihm exklusiv von einem mürrisch wirkenden Hofnarren verliehen wurde. Martin Warnkin war Schutzherr über ein geheimes Ritual.
    An jedem Dienstag, wenn Aljoscha oben an der Treppe stand im Hörsaal C, war der Schimmer IHRER Haare wie das Leuchtfeuer für einen Seemann. Vom Schock der ersten
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