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Alissa 2 - Die geheime Wahrheit

Alissa 2 - Die geheime Wahrheit

Titel: Alissa 2 - Die geheime Wahrheit
Autoren: Dawn Cook
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die Schnauze legte – eine unmissverständliche Ermahnung, still zu sein. Seine Muskeln spannten sich unter der goldenen Haut, und Alissa wich unwillkürlich einen Schritt zurück, als er sich mit einem mächtigen Schlag seiner Schwingen in die Luft erhob. Der Meister flog nach Osten über die Bäume hinweg auf die verlassene Stadt Ese’ Nawoer zu, von hier aus nicht zu sehen, einen viertel Tagesmarsch entfernt.
    Alissa unterdrückte einen überraschten Aufschrei, als Kralle mit empörtem Kreischen über ihren Kopf hinweg aus der Küchentür schoss und dem riesigen Raku folgte, als wollte sie ihn vertreiben. Heute Nacht?, dachte Alissa. Ihre Zehen wurden kalt, und sie begann zu frieren. Er wollte heute Nacht zurückkommen?

 
    – 2 –
     

    E in ungleichmäßiges, rasches Klopfen wirbelte die stille Luft auf, während Bailic wartete und mit den blassen Fingern auf die Stuhllehne trommelte. Dies war das einzige Geräusch in dem schmalen Übungsraum. »Er wird schon wieder zu spät kommen«, sagte Bailic, ohne sich daran zu stören, dass er mit sich selbst sprach. Er erhob sich und blieb vor der Reihe hoher Fenster stehen. Meson hatte ihm einst gesagt, dass man von hier aus die Dächer der längst verlassenen Stadt Ese’ Nawoer sehen konnte. Doch für Bailic war die spektakuläre Aussicht nichts als verschmiertes Blau, Braun und Grün im Sommer und Blau, Braun und Weiß im Winter. Im Augenblick war alles grau, da die Sonne noch nicht aufgegangen war.
    Seine beinahe rosafarbenen Augen waren so gut wie nutzlos und übermäßig lichtempfindlich, doch nur bei starkem Sonnenlicht konnte er überhaupt irgendetwas erkennen. Dennoch mied er die Sonne, da seine fast durchscheinende feine Haut beängstigend schnell verbrannte. Auch sein Haar war von der Farbe ausgebleichten Strohs, nicht dunkelbraun wie das aller anderen Tiefländer. Deshalb trug er es sehr kurz geschoren, da es ihn sonst leicht alt aussehen ließ. Als wollte er diesen Mangel an Farbe wettmachen, hatte er sich angewöhnt, stets Schwarz zu tragen. Da er seine gestohlene Meisterweste nicht wieder aufgeben wollte, trug er sie offen über seinem traditionellen Bewahrer-Gewand aus einem grauen Kittel mit weiten Ärmeln und einer grauen Hose. Er bevorzugte die Pantoffeln mit den weichen Sohlen, welche die Meister allen vorgeschrieben hatten, die sich in der Feste aufhielten; Bailic trug sie allerdings nicht aus Respekt, sondern weil er sich gelegentlich möglichst unhörbar bewegen musste. Eine verwachsene Narbe, die hinter einem Ohr begann, zog sich über seinen Hals und verschwand unter dem Kittel. Das war ein Abschiedsgeschenk von Talo-Toecan gewesen, vor über einem Jahrzehnt, doch bei hoher Luftfeuchtigkeit schmerzte sie immer noch. Raku-Wunden verheilten außerordentlich langsam.
    Die Fenster hier waren sehr groß, sogar für die Verhältnisse der Feste, und ohne die Zauber, die darauf lagen, wäre es hier drin eiskalt gewesen. Bis die Banne mit dem ersten Frühlingsregen fielen, würde nichts durch diese Fenster dringen bis auf das bernsteinfarbene Morgenlicht, das die Meister der Feste so geliebt hatten. Unter den Fenstern zog sich eine hölzerne Bank den ganzen langen, schmalen Raum entlang. So fühlte man sich in diesem Gemach beinahe wie auf einem überdachten Balkon. Dies war einst ein behagliches Plätzchen zum Studieren oder Üben gewesen. Nun wirkte es leer und hohl, all seiner Annehmlichkeiten beraubt.
    Nun, fast aller, dachte Bailic, als sein Blick zu dem Sessel huschte, der unter einem fernen Fenster stand, wo der erste Sonnenstrahl hinfallen würde. Der Sessel war eine stumme Erinnerung an das Mädchen. Er war am zweiten Tag seiner Unterweisung des Pfeifers unter viel Aufhebens und Herumrücken in diesem Raum erschienen.
    Bailics Augen wurden schmal – der einzige sichtbare Ausdruck von Abscheu, den er sich erlaubte –, als er sich an die erbärmliche Szene erinnerte, mit der der Pfeifer und das Mädchen ausgiebig den besten Platz für den Sessel diskutiert hatten. Es war ihr verfluchter Vogel gewesen, der die Angelegenheit schließlich entschied, indem er hereinflatterte, sich auf der Sessellehne niederließ und begann, sich in der Morgensonne zu putzen. Nun stand er also genau hinter jener Grenze, an der Bailics Sicht praktisch zu nichts verschwamm.
    Sein eigener Stuhl stand in der dunkelsten Ecke, ein dritter ganz allein an dem langen schwarzen Tisch, vernarbt von Jahrhunderten der Misshandlung durch zahllose Schüler. Das war der Stuhl
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