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Alissa 1 - Die erste Wahrheit

Alissa 1 - Die erste Wahrheit

Titel: Alissa 1 - Die erste Wahrheit
Autoren: Dawn Cook
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Alissa suchte unwillkürlich Halt an der Sessellehne. Langsam setzte sie sich, weil sie nicht mehr sicher war, ob ihre plötzlich eiskalten Knie sie noch länger tragen würden.
    »So, ist das nicht nett?« Strahlend servierte er Tee, in einer geisteskranken Parodie der Alltäglichkeit. Alissa wartete stoisch ab, was nun kommen würde, die Hände im Schoß. Visionen ihres Papas standen ihr vor Augen. Sie hatte diese Szene schon einmal gesehen.
    Bailic kostete vorsichtig den Tee. »Oh«, seufzte er in gespielter Traurigkeit, »ein wenig kühl, aber ich weiß ja, wie weit es von der Küche zu meinen Gemächern ist.« Sie spürte eine geflüsterte Berührung in ihrem Geist, so schwach, dass sie glaubte, sie habe sie sich nur eingebildet, und sein Becher begann zu dampfen. Das musste Einbildung gewesen sein, dachte Alissa. Ihre Pfade waren weniger als nichts.
    Bailic lehnte sich in die Polster zurück und musterte sie. Plötzlich beugte er sich vor, und sie kämpfte darum, nicht mit der Wimper zu zucken. »Ach, bitte, versucht den Tee«, säuselte er. »Ich werde kein Wort mehr sagen, eher ihr davon gekostet habt!«
    »Was wollt Ihr, Bailic?«
    »Nein, nein, nein«, sagte er wie ein verwöhntes Kind. »Ich will nichts hören. Ihr müsst erst einen Tee mit mir trinken!«
    Er ist verrückt, dachte sie. Ihr Papa hatte sein Spielchen nicht mitgespielt; sie würde es auch nicht tun. Alissa nahm ihren Becher und kippte den Tee zurück in die Kanne. Dann stellte sie ihn verkehrt herum auf den Tisch, und das leise Klappern klang in der Stille erstaunlich laut. Sie reckte das Kinn und forderte ihn heraus, dieses unwürdige Schauspiel fortzuführen.
    Seine Augen wurden schmal. »Schön«, stieß er hervor. »Ich brauche nicht freundlich zu sein. Euer Pfeifer hat seinem lächerlichen Anspruch auf das Buch entsagt, im Tausch für meine Unterstützung dabei, Euch ins Leben zurückzuholen. Wenn ich das Buch der Ersten Wahrheit nicht morgen bis Sonnenuntergang in Händen halte, so hat Euer Pfeifer Euch dazu verurteilt, zu dem Tod zurückzukehren, dem ich Euch vor einem Monat entrissen habe.«
    »Ihr habt mich nicht …«, erklärte sie hitzig, denn Bailic sollte sich ihre Rettung nicht als Verdienst zuschreiben dürfen. Doch dann stockte ihr der Atem. »Zurückkehren?«, flüsterte sie und spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich.
    Bailic grinste hämisch und drehte ihren Becher wieder richtig herum. »Ja«, sagte er gedehnt über das leise Plätschern des Tees in ihrem Becher. »Ihr erinnert Euch doch an den grauen Nebel, nicht wahr? So beruhigend und warm. Er ist recht angenehm, soweit ich mich erinnere, bis man erkennt, was geschieht, und feststellt, dass es kein Entkommen gibt.« Er beugte sich vor. »Und jetzt begreift Ihr – oder nicht?«
    Alissa schwieg, und die Erinnerung an den erstickenden Duft des langsamen Todes, in dem sie gefangen gewesen war, wirbelte in ihr auf.
    »Ich bin ein gerechter Mensch«, rühmte er sich. »Ich tue nur, was getan werden muss. Das könnt Ihr mir nicht vorwerfen. Ich verspüre keineswegs den Wunsch, Euch dorthin zurückzubringen, wenn Ihr hier einen Zweck für mich erfüllen könnt.«
    Blinzelnd starrte Alissa ihn an, und seine absurde Behauptung, gerecht zu handeln, riss sie aus ihren finsteren Erinnerungen. Bailic neigte den Kopf und trank einen zeremoniellen Schluck. »Ihr seht also, Eure Zeit ist abgelaufen«, sagte er, »außer Ihr wünscht in meine Dienste zu treten. Das allein könnte … vorhergehende Abmachungen rückgängig machen. Die Wahl liegt bei Euch. Ich stecke Euch entweder zurück in Eure Grube« – er lächelte – »oder Ihr bleibt hier an meiner Seite.«
    Wahl, dachte Alissa verzweifelt. Was für eine Wahl? Entweder unterstützte sie Bailics wahnsinnige Pläne von Rache und Eroberung, als seine widerstrebende Sklavin, oder sie würde sterben.
    Sterben!, dachte sie fassungslos. Sie konnte nicht sterben. Sie war noch nicht fertig! Das war nicht fair. Warum hatte ihr Papa das verfluchte Ding nicht so versteckt, dass sie es finden konnte! Alissas Blick huschte zu dem Balkon, auf dem ihr Vater seinen letzten Atemzug getan hatte. Die Wölfe des Navigators sollten sie jagen, sie würde Bailic niemals helfen. Sie würde sterben. Asche, wie dumm sie doch gewesen war. Aber Bailic zu dienen …
    Ohne recht zu wissen, wie, stand sie auf einmal auf den Beinen, den verschleierten Blick noch immer auf den Balkon gerichtet. Bailic erhob sich ebenfalls. Offensichtlich glaubte er, sie
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