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Alice at Wonderland

Alice at Wonderland

Titel: Alice at Wonderland
Autoren: Bunzel Gaw
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außer diskret, das eigentlich wird. Wenn ich die letzten Wochen Revue passieren lasse, dann habe ich mit Alex fast alle Phasen einer gewöhnlichen Beziehung durch, auf virtueller Ebene. Müsste ich es genau beschreiben, würde ich sagen, ich befinde mich auf dem Weg zu einem Kennengelernt-sichüberraschenlassen-lieben-trennen-hassen-wiederversöhnen-unddannmalsehen-Treffen. Alle Gefühle da, nur der Mann, der sie auslöst, nicht. Bis jetzt Als ich das Operncafe betrete, bin ich tatsächlich schon zwanzig Minuten zu spät und scharwenzele erst mal wie eine Blöde durch die Tischreihen. Nachdem ich jeden Winkel ausgespäht habe, ergibt sich folgendes Bild: neun Paare, davon sechs hetero, zwei schwul, eins lesbisch, vier allein stehende Frauen, nur im Augenwinkel wahr genommen, da sie nicht zur Zielgruppe gehören, und drei Solo-Männer. Zwei der Typen zeigen bei meinem An blick keine oder jedenfalls nicht die gewünschte Reaktion. Vom dritten, einem weißhaarigen Mittfünfziger, der mit heimlichen Gesten das gerade laufende Violinkonzert von Beethoven dirigiert, wende ich mich so schnell ab, dass ich nicht sagen kann, ob er auf mich reagiert hat.
    Ich suche mir einen freien Platz. >Das bringt der nicht, dass er mich nochmal versetzt<, denke ich düster. Es sei denn, seine Familie besitzt die Perfidie, sich jedes Mal in einen Unfall verwickeln zu lassen, wenn er sich mit mir treffen will. Ich zwinge mich zur Ruhe. Egal, was heute passiert, seit gestern habe ich so was wie meine Mitte und Ruth ihren lang vermissten Kerzenständer. Es kann also nichts schieflaufen.
    Und genau deshalb habe ich mich auch so platziert, dass ich die Eingangstür auf gar keinen Fall sehen kann. So er liege ich nicht der Versuchung, hinter jedem Typen, der reinkommt, Alex zu vermuten. Da ich nun etwas ungüns tig sitze, muss ich mich gehörig verrenken, um einen Blick auf die Eingangstür werfen zu können. Das sieht nicht nur absolut bescheuert aus, es bringt auch nichts. Weil ge schlagene zehn Minuten niemand das Lokal betritt. Dafür bekommt mein Oberkörper etwas Schwanenhalsartiges, das ich erst mit ein paar Lockerungsübungen wieder ge rade rücken kann. Als ich wieder menschliche Konturen angenommen habe, bekämpfe ich meinen aufkommenden Unmut, wieder die Sitzengelassene spielen zu müssen. Ich sage mir, dass trotzdem alles in bester Ordnung ist, hier ist die Mitte, es macht mir gar nichts aus, und durchforste meine Handy-Adresskartei nach der geeigneten Person, mit der ich mich heute Abend voll laufen lassen kann. Geeignet heißt in diesem Fall männlich, trinkfest und mit Trösterqualitäten. Ich bin gerade bei F wie Fabian, als ich von rechts eine Stimme höre.
    »Hallo. Bist du die lady in black?«
    Eine Stimme, so dünn, als gehöre sie einer Frau. Vergiss es, Fabian. Das Warten hat ein Ende! Ich sehe auf und stelle fest, dass die Stimme tatsächlich einer Frau gehört. Neben mir steht eine groß gewachsene Blondine Mitte dreißig mit einem Gesicht, als hätte sie gerade den Begossenen-Pudel- Wettbewerb gewonnen. In den folgenden zwei Sekunden höchster Irritation gehe ich alle Möglichkeiten durch, die das Vorhandensein einer Frau zu dieser Zeit an diesem Ort mit diesem Sprüchlein auf der Lippe logisch erklären könnten. Erstens, der totale Zufall. Eine blonde Lesbe hat sich hier mit einer schwarz gekleideten »Schwester« ver abredet und das gleiche Codewort benutzt. Zweitens, das hier ist Alex' Freundin, die hinter unsere Äther-Romanze gekommen ist und mir gleich mein dezent geschminktes Gesicht mit einem abgebrochenen Weinglas ruinieren wird. Drittens, Alex ist ein schwerhöriger, glatzköpfiger Kaukasier und hat seine Schwester vorgeschickt, weil er noch Schafe hüten muss. Viertens ...
    »Ich bin Alex«, sagt die Blondine.
    Ich ruiniere mein dezent geschminktes Gesicht mit dem dämlichsten Gesichtsausdruck, der gerade noch möglich ist, um als Mitglied der Gattung Homo sapiens durchzu gehen.
    »Oh, mein Gott!«, sage ich, um zu beweisen, dass ich auch sprechen kann.
    Alex steht immer noch etwas schüchtern vor meinem Tisch, als erwarte sie, dass ich sie jetzt mit einem abgebrochenen Weinglas rasiere. Dabei habe ich lediglich das Gefühl, durch ein schwarzes Loch in eine andere Welt ge saugt worden zu sein, in der jeder sein Geschlecht wech seln kann, wie's ihm beliebt.
    »Ssss ...«, schlüpft es mir über die Lippen. Ich habe die Fähigkeit zu sprechen wieder eingebüßt. >Ssss< sollte ei gentlich ein Satz werden wie:
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