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Albspargel

Albspargel

Titel: Albspargel
Autoren: Günther Bentele
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schließlich hatten wir als Kinder in dem unheimlichen Gewölbe oft gespielt. Er wusste noch Bescheid und hatte mir eine alte Buche als Wegmarke angegeben, an deren Wurzelfuß vorbei das Loch noch immer in den Hang hineinführt, von Brennnesseln fast völlig überwachsen, mit einem Reisighaufen abgedeckt. Aber immer noch bei der Dorfjugend beliebt zu allen möglichen und wohl auch unmöglichen Dingen.
    »Sind wir da?«, hörte ich Dr. Hagenbach flüstern.
    Ich nickte, was er sicher nicht sehen konnte. Dann machte ich einen raschen Schritt vorwärts. Da war die Buche. Ein starker Geruch nach Pilzen, Moos, Harz und Waldboden, wie das eben im Herbst im Wald bei Nieselregen mit seiner typischen Windstille der Fall ist.
    Wir hatten verabredet, die Lampen erst bei völliger Dunkelheit anzumachen, nach Möglichkeit jedoch nicht außerhalb des Kellers selbst. Auf der Rückseite der Buche war dichtes Gestrüpp, dann der Reisighaufen, der wohl auf die Seite gerückt worden war und einen Durchgang freigab – zum Eingang. Er führte in einen kleinen gemauerten Gang.
    »Was jetzt?«, fragte Dr. Hagenbach.
    Wir schalteten unsere Stabtaschenlampen ein. Ich schritt vorneweg. Nach wenigen Metern ging es einige Stufen hinunter. Dann kam der Eiskeller, ein muffiges, finsteres Loch von überraschender Größe. Ein geringerer Teil des Deckengewölbes, das wohl noch aus der Klosterzeit stammte, war schon zu meiner Jugend verstürzt, eher verrutscht, aber in sich stabil, und ließ noch Raum genug.
    Dennoch: Der Aufenthalt hier unten war gefährlich. Seit sechzig Jahren sagte das jeder Vater seinen Söhnen; und jeder Einzelne war schon dort unten gewesen und hatte damit sich und den anderen seinen Mut bewiesen und das prickelnde Gefühl des Entdeckers genossen.
    Was wollte ich hier? Ein alt gewordener Naturwissenschaftler – und eine Liebe von vor zwanzig Jahren. Mitspielen bei spätpubertären Krimispielchen? Plötzlicher Geruch nach Zigarettenrauch, der nicht in diese Waldhöhle passte. Wir hatten, wie gesagt, irgendwelche Hinweise erwartet, am besten in schriftlicher Form, am besten oben an der Wand der Hütte, ein lächerlich kindisches Verfolgungsspiel, eine Schnitzeljagd mit vielleicht verräterischen Elementen.
    Ich machte mir klar, dass sich Zigarettenrauch unter solchen Bedingungen nicht lange hält, die kalte, feuchte Luft schluckt ihn, der Regen löst ihn auf. Rauch, der jetzt noch in der Luft stand, ließ unbedingt auf einen oder mehrere anwesende Raucher schließen.
    Wer erwartete uns?
    Das einzig Angenehme war, dass es hier unten trocken war. Zu Beginn waren noch Tropfen gefallen, aber das Gewölbe hielt dicht, der Lehmfußboden war schließlich staubtrocken. Im trüben Licht unserer Taschenlampen wurden deutlich Fußspuren in dem jahrhundertealten Staub sichtbar.
    Diese Spuren waren nass.
    Da knallte plötzlich – ich kann es nicht anders sagen – wie mit einem Vorschlaghammer frontal das grelle Licht eines Scheinwerfers auf uns.
    »Da wären wir also endlich«, sagte eine wohlbekannte Stimme. »Sie haben uns lange warten lassen, Herr Dr. Fideler und Herr Dr. Hagenbach.«
    Die Stimme gehörte wie in der Kiesgrube zu Ernst Graßner.
    »Ich bin nicht allein hier unten.« Die Stimme klang höhnisch. »Das könnte Ihnen so passen, meine Herren. Nein, während ich rede und Sie krampfhaft überlegen, wie Sie aus dieser Situation wieder herauskommen könnten, steht neben mir mein Freund Baltes Sauler, dem Sie ja bereits in Kettenacker nachgespürt haben, meine Herren, und hält eine Pistole in den Händen und auf Sie gerichtet. Ununterbrochen auf Sie. Einmal auf den Älteren, dann wieder auf den Jüngeren. Immer hin und her.«
    Die Stimme klang nicht so sicher, wie ihre Worte vortäuschten. Sie war rau, nicht von einer Erkältung, sondern vor großer Erregung. Dazu versuchte der Junge das Schwäbische durch Hochdeutsch zu ersetzen, was seine Worte noch verkrampfter machte. Aber wie in der Kiesgrube schien sich seine Aufregung in ganzen Wortkaskaden niederzuschlagen.
    Ich habe später gestaunt, dass ich in dieser Situation so viel beobachtet und nachgedacht habe.
    »Sie fragen sich natürlich: Warum sind wir hier? Die Antwort ist einfach«, Flattern in der Stimme, »weil wir Sie herbestellt haben. Und warum haben Sie Folge geleistet? Weil wir es richtig gemacht haben, Neugier, Liebe, Rachebedürfnis, Herr Dr. Fideler. Zwei Doktoren!«
    Es war demütigend! Ich ärgerte mich, dass ich nicht gleich auf den Verfasser des Zettels mit
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