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Albert Schweitzer

Albert Schweitzer

Titel: Albert Schweitzer
Autoren: Peter Muenster
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der „blinde“ Bettler die Münze genau begutachtete. „Der ist ja gar nicht blind“ war sein empörter Kommentar. Schweitzer ging ruhig weiter und meinte nur: „Gott sei Dank kann der arme Kerl wenigstens noch sehen.“
    Diese Geschichte hat symbolischen Charakter. Schweitzer hat erkannt, dass der Mann am Wegesrand in Not war. Selbst wenn er eine andere Not vortäuschte: Gewiss saß da keiner, der aus purer Lüge bettelte, sondern jemand, der sich tatsächlich in irgendeiner Notlage befand. Schweitzer ließ sich davon anrühren und „half“.
    Die Hilfe gegenüber dem bedürftigen Mitmenschen ist die elementarste Form der Ehrfurcht vor dem Leben. Dies zu betonen ist Schweitzer nicht müde geworden: „Als tätiges Wesen kommt er [der denkend gewordene Mensch] in ein geistiges Verhältnis zur Welt dadurch, dass er sein Leben nicht für sich lebt, sondern sich mit allem Leben, das in seinen Bereich kommt, eins weiß, dessen Schicksale in sich erlebt, ihm, soviel er nur immer kann, Hilfe bringt und solche durch ihn vollbrachte Förderung und Errettung von Leben als das tiefste Glück, dessen er teilhaftig werden kann, empfindet.“ So schrieb er im Schlusskapitel seines autobiografischen Buches „Aus meinem Leben und Denken“ (1931). Weiter heißt es dort: „DieEthik der Ehrfurcht vor dem Leben ist die ins Universelle erweiterte Ethik der Liebe. Sie ist die als denknotwendig erkannte Ethik Jesu.“
    Ich habe das Hungerproblem an den Anfang dieses Kapitels gestellt, weil nicht zuletzt von seiner Lösung abhängt, ob es uns gelingt, die Welt gerechter und humaner zu gestalten. Es wird keinen Frieden unter den Menschen geben können, solange die schreiende Ungerechtigkeit der ungleichen Verteilung der Schöpfungsgaben nicht gelöst wird. Nirgends ist Schweitzers Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben so aktuell wie in diesem Punkt. Schweitzer hat Jesu Gleichnis vom reichen Mann und vom armen Lazarus kollektiv gedeutet und darin die Verantwortung der reichen, satten Nationen gegenüber dem schuldlos unterentwickelten Teil der Menschheit erkannt: „Das Gleichnis vom reichen Mann und vom armen Lazarus schien mir auf uns geredet zu sein. Wir sind der reiche Mann, weil wir durch die Fortschritte der Medizin im Besitze vieler Kenntnisse und Mittel gegen Krankheit und Schmerz sind. Die unermesslichen Vorteile dieses Reichtums nehmen wir als etwas Selbstverständliches hin. Draußen in den Kolonien aber sitzt der arme Lazarus, das Volk der Farbigen, das der Krankheit und dem Schmerz ebenso wie wir, ja noch mehr als wir unterworfen ist und keine Mittel besitzt, um ihnen zu begegnen. Wie der Reiche sich aus Gedankenlosigkeit gegen den Armen vor seiner Türe versündigte, weil er sich nicht in seine Lage versetzte und sein Herz nicht reden ließ, so auch wir.“
    Auch auf anderen Gebieten ist Schweitzers Aufforderung zur Ehrfurcht vor dem Leben von bedrückender Aktualität. Denken wir etwa an die
Gentechnologie
. Der Theologe und Biologe Günter Altner hat schon vor Jahren in seinem Buch „Leben auf Bestellung?“ auf „das gefährliche Dilemma der Gentechnologie“(so der Untertitel) hingewiesen. Altner ist sich bewusst, dass sich das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen lässt. Der Mensch macht, was ihm der ambivalente Fortschritt in Wissenschaft und Technik als machbar zulässt – oft ohne zu hinterfragen, ob das ethisch vertretbar ist. „Angesichts der durch Gentechnik eröffneten atemberaubenden Manipulationsmöglichkeiten geht es um die brennend wichtige Frage, wie und auf welchem Wege wir weiter voranschreiten wollen und dürfen: Veränderung des Artenbildes, gentechnisches Zurechtschneiden der Lebensformen nach Wunsch, Pläsier und Nutzungswillkür, Anpassung der Natur an die Absatzinteressen der Industrie? Das alles wird, wenn es soweit ist, auch vor dem Menschen nicht Halt machen.“ Gerade in diesem noch so jungen Zweig naturwissenschaftlichen Forschens stehen wir vor großen ethischen Grundsatzfragen. Dürfen wir alles, was wir können? Widerspricht es nicht der Ehrfurcht vor dem Leben, wenn der Mensch sich aufmacht, Leben (auch menschliches) nach Belieben zu manipulieren? Ist es erlaubt, mit menschlichen Embryonen zu experimentieren, sie so zu behandeln, als wären sie keine Lebewesen? Ganz im Sinne der Schweitzerschen Ehrfurchtsethik, mit der er sich in mehreren Büchern beschäftigt hat, schreibt Altner: „Je einflussreicher die durch den Menschen entwickelten Manipulationsmöglichkeiten, desto größer
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