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Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition)

Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition)

Titel: Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition)
Autoren: Jesper Juul
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Welt zu bringen.
    Häufig spiegelt der Konflikt zwischen den Kindern sowie das konfliktsuchende Verhalten eines Einzelkindes den Konflikt wider, den die Eltern offen austragen oder unter den Teppich fegen. Da in Liebesbeziehungen Konflikte nicht zu vermeiden sind, ist das Beste, was du für deine Familie machen kannst, zu lernen, wie du konstruktiv mit ihnen umgehst. Je fruchtbarer dein Umgang mit Konflikten wird, desto mehr werden deine Kinder in der Lage sein, sich zu entspannen und ihr eigenes Leben zu führen.
    Schließlich ist auch das Teil der Realität: Kinder machen häufig verwirrende Erfahrungen und erfahren sich im Umgang mit Lehrern, Großeltern oder anderen bedeutenden Erwachsenen, die sie als Vorbilder betrachten, als wertlos und bringen ihr Unbehagen mit nach Hause, wo sie sich dann vielleicht ungewöhnlich verhalten. Manchmal ist das Leben einfach ätzend, das ist so, und das kann niemand ändern.

V. Moral oder Existenz?
    Bevor du anfängst, Kindern und Jugendlichen – oder Erwachsenen – zu helfen, ihre Aggression zu integrieren, muss etwas in deinem eigenen Denken passieren. Deine Haltung und Sichtweise als Erwachsener ist für das Ergebnis des Prozesses entscheidend.
    Aggressives und gewalttätiges Verhalten sind Symptome, die sich auf der sozialen Ebene bemerkbar machen, aber existentielle Wurzeln haben. Diese Tatsache stellt uns vor eine entscheidende Wahl: Will ich diesem Verhalten auf einer moralischen oder auf einer existentiellen Ebene begegnen? Oder will ich beide Ebenen in Betracht ziehen? Ich bevorzuge die Herangehensweise auf beiden.
    Die Moral beschreibt Werte und Regeln, die für unser soziales Verhalten ausschlaggebend sind. Sie ist dazu da, ein gewisses Niveau an Sittlichkeit in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben aufrechtzuerhalten. Jede Gruppe hat einen moralischen Maßstab und eine moralische Identität – ganz gleich, ob es sich dabei um Schweden, Hells Angels, die katholische Kirche, die russische Mafia, den lokalen Fußballclub oder unsere persönliche Familie handelt. Welchen Grad an Menschlichkeit jede Gruppe erreicht, lässt sich an dem Bezug ablesen, den sie zu den unangepassten und nicht konformen Menschen hat. Hells Angels können als Subkultur ungescholten davonkommen, wenn sie behaupten, nur loyale und gehorsame Mitglieder zu akzeptieren. Öffentliche Institutionen und Dienste hingegen müssen in einem demokratischen Land für jeden zugänglich sein.
    Die existentielle Ebene unseres persönlichen Lebens ist jene, auf der sich unsere Persönlichkeit, unser Verhalten, unsere Muster und emotionalen Reaktionen bilden; sie wird von unserer Familie und Gesellschaft beeinflusst. Entscheidend und bestimmend sind ganz unterschiedliche Phänomene: geliebt und umsorgt sein, vernachlässigt und missbraucht werden, die Eltern verlieren, eine behinderte Schwester oder einen behinderten Bruder haben, einen Bürgerkrieg erleben, die Kohärenz unserer Vorbilder, wahrgenommen und anerkannt werden oder sich anpassen müssen. All das und vieles mehr beeinflusst die Entwicklung des kindlichen Gehirns.
    Die beiden Ebenen – Moral und Existenz – überlappen sich ständig und beeinflussen sich gegenseitig; daher ist es manchmal sehr schwer zu entscheiden, ob beispielsweise ein jugendlicher Straftäter aus einem existentiellen Grund in eine kriminelle Aktivität verwickelt war oder weil er sich mit der falschen Gruppe herumtrieb. Meiner Erfahrung nach ist es meist eine Kombination von Einflüssen und Entscheidungen auf beiden Ebenen.
    Daraus erwächst eine ernsthafte Problematik: die Gültigkeit des bestehenden pädagogischen und sozial-pädagogischen Paradigmas, das sich lediglich mit dem moralischen und sozialen Standpunkt beschäftigt. In den letzten zwei Jahrzehnten haben Pädagogen und Sozialpädagogen angefangen, Kontakte zu Menschen zu knüpfen, die auf der existentiellen Ebene tätig sind, aber ein echter Transfer von Einsichten und Know-how hat noch nicht stattgefunden.
    In den letzten Jahrzehnten haben wir festgestellt, dass Kinder und Jugendliche genauso wie Erwachsene existentielle Schmerzen und Krisen erleiden. Jedoch kommt bei Kindern und Jugendlichen zusätzlich hinzu, dass diese existentiellen Probleme die Ursache für die meisten Verhaltens- und andere psychosoziale Probleme sind, auf die in der Folge das »helfende System« reagiert. Diese Probleme müssen zwei Prozesse durchlaufen: einen Heilungs- und einen Lernprozess. Wir haben bislang versucht, die Probleme zu
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