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Affinity Bridge

Affinity Bridge

Titel: Affinity Bridge
Autoren: George Mann
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den Angriff abwehren wollte. Heulend vor Schmerz versetzte Coulthard
dem Wesen einen Tritt, um sich zu befreien. Das Biest roch nach Verwesung, und
in den unsteten, nicht menschlichen Augen blitzte eine böse Gier.
    Nachdem Coulthard gesehen hatte, welch garstiges Ende seine
Gefährten gefunden hatten, konnte er sein Heil nur noch in der Flucht suchen.
Entschlossen packte er das Wesen an den Haaren, zerrte seinen Arm aus dessen
Mund und fügte sich dabei klaffende Risswunden zu. Ein großer Brocken seines
eigenen Fleischs blieb zwischen den Zähnen des Wesens stecken. Er war vor
Schmerzen fast ohnmächtig, als er noch einmal die Klinge durch die Brust des
Ungeheuers jagte. Endlich drehte er sich um und rannte weg, die Füße trommelten
auf der trockenen Erde, und die Beine flogen nur so, als er neben dem
Felsvorsprung die Böschung zum Dorf hinunterrannte. Der linke Arm baumelte
nutzlos an seiner Seite.
    Hinter ihm drehte sich das Ungeheuer um. Obwohl der Griff des Säbels
noch aus dem Brustkorb ragte und aus dem Armstumpf dunkles Blut schoss, packte
es den toten Taylor bei den Haaren und schleppte ihn langsam in die Deckung der
Bäume.

London, November 1901
    1
    Der Raum war voller Geister.
    Das wollte Felicity Johnson ihnen jedenfalls einreden. Ermüdet nach
einem langen Tag in der British Library, wo er verstaubte Papierstapel
durchgesehen hatte, trommelte Sir Maurice Newbury nicht ohne eine gewisse
Ungeduld mit den Fingerspitzen auf den Tisch. Die Dinnerparty verlief ganz und
gar nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte.
    Die Gäste hatten sich gleichmäßig verteilt an einem großen runden
Tisch niedergelassen, die Gesichter glühten im Schein der gedämpften Gaslampen.
Vor den Gästen lagen umgedrehte Becher, Tarotkarten, Stechpalmenblätter und andere
Zutaten herum, während die Gastgeberin in dem ansonsten stillen Raum mit
schrillem Diskant die Toten zu erwecken suchte.
    Newbury fand das Theater wenig beeindruckend und beobachtete lieber
die anderen Teilnehmer der Runde. Im Zwielicht waren die Gesichtszüge kaum zu
erkennen, viele schienen aber ganz und gar von der Darbietung der Frau
eingenommen, die mit fest geschlossenen Augen klagend gestikulierte und in
Zuckungen verfiel, sobald ein außerweltlicher Geist von ihr Besitz ergriff. Im
Augenblick stammelte sie irgendetwas über Meredith Yorks verstorbenen Bruder.
Die arme Frau hing der Gastgeberin förmlich an den Lippen und schluchzte in den
Armen ihres Gatten, als wäre sie ehrlich überzeugt, soeben eine Botschaft aus
dem Jenseits erhalten zu haben.
    Newbury warf einen raschen Blick zu dem Mann, der direkt neben ihm
saß, und zuckte mit den Achseln. Sir Charles Bainbridge war Chief-Inspector
bei Scotland Yard. Der Polizist genoss Königin Victorias besondere Gunst, er
war einer der nüchternsten Menschen, die Newbury kannte, und ganz sicher kein
Mann, der auf diesen Humbug hereinfiel. Er war gut zehn Jahre älter als Newbury
und bereits an den Schläfen ergraut. Der Schnurrbart war buschig und voll, die
hellen Augen blitzten boshaft und wirkten nach dem Alkoholgenuss ein wenig
gläsern. Als er den gequälten Gesichtsausdruck seines Freundes bemerkte,
schenkte Bainbridge ihm ein kleines Lächeln. Offensichtlich vermochte der Polizeibeamte,
dessen Gesicht im Dämmerlicht wie ein kantiges Relief erschien, für die
Schrullen der Gastgeberin erheblich mehr Nachsicht aufzubieten als er selbst.
Ein wenig gereizt sprach Newbury seinem Brandy zu.
    Nicht lange, und Miss Johnson sank keuchend in sich zusammen,
öffnete die flatternden Lider und hielt sich in affektiertem Entsetzen die
Hände vor den Mund. Fragend blickte sie die Gäste an. »Habe ich etwa …?«
    Meredith York nickte lebhaft, und als gleich darauf die Gaslampen
hochgedreht wurden und den Raum wieder mit einem warmen orangefarbenen Schein
erfüllten, zollte das kleine Publikum der Gastgeberin lautstark Beifall.
Erleichtert, dass dieses Spektakel endlich vorüber war, lehnte Newbury sich
zurück und rieb sich müde mit einer Hand über das Gesicht. Die anderen Gäste
waren bereits in angeregte Unterhaltungen vertieft, während er die Szenerie mit
der Haltung eines Mannes betrachtete, der drauf und dran ist, sich zu
empfehlen. Keinesfalls würde er sich nötigen lassen, zu den Ereignissen des
Abends seine Meinung zum Besten zu geben, denn er wollte niemanden, und sei es
nur unabsichtlich, vor
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