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Aerztekind

Aerztekind

Titel: Aerztekind
Autoren: Carolin Wittmann
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und ich gedachte, in diesem Urlaub genau zu diesen Teilnehmenden zu gehören und vorrangig Disneyfilme im kleinen Häuschen an der Talstation zu gucken, in dem die Skischule ihr Hauptquartier bezogen hatte.
    Sieht man von den größeren und kleineren Scherereien ab, die minderjährige Kinder ihren Eltern im gängigen Tagesgeschäft bereiten, so verliefen die ersten Tage nahezu ereignislos. Und an den Abenden waren Anne und Juliane so müde, dass sie im Restaurant mit dem Kopf auf dem Tisch einschliefen, noch bevor ihnen ihre kleine Portion Pommes serviert wurde. Mein Glück, denn das bedeutete ein paar Pommes mehr für mich.
    Ich fand in meinem Skikurs schnell Gleichgesinnte, die das Skifahren mindestens so spannend fanden wie ich, und gemeinsam sorgten wir dafür, dass uns lockere Bindungen, nicht schließende Reißverschlüsse an unseren Skianzügen oder unentwegt beschlagene Skibrillen vom Skifahren abhielten.
    Am vierten Tag, dem Silvesterabend des Jahres 1992, verabredeten sich unsere Eltern mit uns um die Mittagszeit zu einer gemeinsamen Pause an der Talstation. Jule und Anne bekamen ihre obligatorischen Pommes, Mama und Papa teilten sich einen Germknödel, ich nuckelte an meinem Almdudler, und alles hätte so schön sein können, wenn meine Schwestern – klar, wer sonst? – nicht auf die glorreiche Idee gekommen wären, den sonnenbeschienenen und komplett zugeschneiten Hügel, der sich direkt vor der Sonnenterrasse der Hütte erstreckte, auf dem Hosenboden hinunterzurutschen.
    Kinderkram. Ich war neun, fast zehn, da machte ich bei solchem Quatsch natürlich nicht mehr mit. Immerhin war Markus, der süßeste Junge aus meinem Skikurs und mein Bruder im Geiste in Sachen Skifahrvermeidungstaktik, mit seinen Eltern in unmittelbarer Entfernung – da ließ ich mich nicht zu solchen Babyspielen hinreißen.
    »Na, Caro«, fragte meine Mutter und verteilte großzügig eine weitere Portion Sunblocker auf ihren Lippen, »magst du nicht auch mitrutschen? Guck mal, die zwei Kleinen haben so viel Spaß.«
    Ja eben: die zwei Kleinen. Da ich offensichtlich nicht zu den zwei Kleinen gehörte, kam derlei Pipikram für mich selbstredend nicht infrage.
    Ich sah hinüber zur peinlichsten Rodelpiste ever. Anne sauste gerade mit einem Affenzahn den Hang hinunter, ein breites Lachen im Gesicht, ihre geröteten Wangen glänzten vor lauter Glückseligkeit in der prallen Wintersonne. Jule kämpfte sich keuchend, glucksend und kichernd den Hügel wieder hinauf, ließ sich dann auf den Bauch fallen und bretterte laut kreischend ihrer Schwester hinterher.
    Verdammt. Das schien wirklich eine Menge Spaß zu machen. Jedenfalls mehr Spaß als der Skikurs, der in wenigen Minuten wieder losging. Also seufzte ich einmal tief und theatralisch und erhob mich dann mit einem, wie ich meinte, zutiefst genervten Gesichtsausdruck, um meine kindischen Schwestern bei ihrem Vergnügen im Tiefschnee zu überwachen.
    Der Hang war von Nahem viel steiler, als er von der Terrasse aus gewirkt hatte. Ich stapfte schwer atmend hinauf, und zu meinem Entsetzen wurde ich dabei von Anne überholt. Anne! Ausgerechnet von der!
    Kurz bevor ich die unsichtbare Startlinie erreicht hatte, sah ich, wie Anne sich auf den Hintern fallen ließ, die Beine gerade machte und fest aneinanderdrückte, den Oberkörper nach hinten legte und dann wie in einer Wasserrutsche im Schwimmbad losschlitterte. Und gehörig Fahrt aufnahm.
    Mein Vater und meine Mutter, die auf der Sonnenterrasse der Skihütte saßen und gerade eine heiße Schokolade mit Schuss serviert bekamen, applaudierten.
    Na warte!
    Ich kürzte um wenige Meter ab, fest entschlossen, der kleinen Kröte die Show zu stehlen und meinen Eltern zu zeigen, wie man das richtig machte, wenn man nicht mehr zu den zwei Kleinen gehörte. Mich ebenfalls auf den Rücken zu legen kam nicht infrage, das hatte meine Schwester ja gerade schon gezeigt. Ein normales Runterrutschen auf dem Hintern war selbstverständlich auch inakzeptabel, das konnte ja jeder, selbst Juliane, die eigentlich immer vor allem Schiss hatte.
    So kam ich auf eine großartige Idee. Ich setzte mich hin, allerdings mit dem Rücken zum Tal, und schon ging’s den Berg hinab. Zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben wog ich natürlich noch weniger als heute, jedenfalls ein bisschen, doch ein Leichtgewicht war ich auch damals nicht, und so nahm ich, den physikalischen Naturgesetzen sei Dank, während meiner Rückwärtsfahrt ordentlich Tempo auf und raste schon nach wenigen
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