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Advocatus Diaboli

Titel: Advocatus Diaboli
Autoren: Romain Sardou Hanna van Laak
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Legende prophezeit hätte, dass die Heilige Jungfrau Cantimpré besuchen würde, hätte das niemanden verwundert.
    Seltsam war, dass sich für diese Wunder keine Ursache und damit auch kein Gegenstand der Verehrung fanden: Es gab keinen erwiesenen Heiligen in Cantimpré, keine heidnische Wunderquelle, die man christlich vereinnahmen konnte, die Kirche war nie Schauplatz von Wundern gewesen, und der gute Pfarrer Evermacher wollte im Geburtsort seiner Mutter in Spalatro in Italien begraben werden, sodass man also weder eine Reliquie noch eine Person hatte, der man seine Dankbarkeit bezeugen konnte. Außer Guillem Aba . Dieser aber wehrte energisch ab. In einer Predigt, die den Herzen der Dorfbewohner unvergesslich blieb, führte er die Segnungen der jüngsten Zeit auf die »schöne Seelengemeinschaft« von Cantimpré zurück. Nur um ihrem Hang zu einem vagen Heidentum entgegenzukommen, ließ er sich darauf ein, den Geist des verschiedenen Evermacher - außerhalb seiner Predigten - mit dem Glück seiner Gläubigen in Verbindung zu bringen.

    Abgesehen von der Tugendhaftigkeit seiner Bewohner konnte Cantimpré also nicht als Schauplatz christlicher Wunder gelten, und somit gab es für die Kirche keinen Grund mehr, Anstoß zu nehmen.
    Allerdings verließen mehrere Familien der weiteren Umgebung ihren Heimatort und zogen zu den vom Glück begünstigten Bewohnern von Cantimpré. Diese Gunst des Schicksals verführte manch einen zu der Äußerung - aber nur halblaut, um den Zauber nicht zu brechen -, Cantimpré sei ein »von Gott gesegnetes Dorf«.
     
    Angesichts der plötzlichen Zunahme von Kleinkindern musste Pater Aba seine Aufgaben als Priester überdenken und neue Methoden für die Unterweisung der Kleinen entwickeln. Er verschob die Gleichnisse der Glaubenslehre und die Heiligengeschichten auf später, um ihnen stattdessen kleine Lebensmaximen beizubringen.
    »Ein Sprichwort lernen bedeutet auch, es in die Tat umzusetzen«, verkündete er.
    Er ließ sich von antiken Sprichwörtern inspirieren, wobei er Formulierungen bevorzugte, die die zarte Phantasie seiner Zuhörer beflügeln konnten.
    In einem Schuh ist kein Platz für zwei Füße.
    Wenn das Haus des Nachbarn brennt, ist auch deines in Gefahr.
    Besser der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.
    Wer über sich haut, dem fallen die Späne ins Auge.
    Aba war überzeugt, dass solche Weisheiten, wenn sie sich in einem Kopf festsetzten, und sei dieser auch nicht sehr helle, langfristig nur Gutes bewirken konnten.
    Aus dem Dutzend Kinder, die an diesem Morgen bei ihm saßen, stach eines durch seine Zurückhaltung hervor. Während alle anderen gierig ihre Brotration verschlangen, aß dieser Junge mit Bedacht und unbeeindruckt von der Aufregung, die rund um ihn herrschte.
    Sein Name war Perrot.

    Er trug einen neuen graugrünen Kittel, hatte blondes Haar und tiefblaue Augen und zog immer die Aufmerksamkeit Pater Abas auf sich, weil er so viel schneller und besser verstand als die anderen. Er war ein rätselhaftes, begabtes Kind, der einzige Sohn von Jerric, dem Schreiner, und Esprit-Madeleine, genannt die »Hinkende«. Er war der Liebling des Paters, der von seinen natürlichen Fähigkeiten fasziniert war.
    Heute wirkte Perrot ohne ersichtlichen Grund schweigsam und beunruhigt. Aba nahm sich vor, ihn am Ende des Unterrichts zu befragen.
    »Ruhe!«, rief er, sobald die Näpfe geleert und das Brot verschwunden waren.
    Die Kinder standen vom Tisch auf und rempelten sich mit den Ellbogen an, um den besten Platz am Ofen zu ergattern.
    Der Lehrer hatte für diesen Morgen einen Ausspruch gewählt, der mit Sicherheit großen Anklang finden würde:
    Niemand findet seinen eigenen Gestank abstoßend.
    Sowie er die Worte ausgesprochen hatte, ertönte schallendes Gelächter. Und ein allgemeines Witzeln über den einen oder anderen Dorfbewohner hob an.
    Aba führte die Kleinen unmerklich zu den angestrebten moralischen Zielen hin; er war ein ausgezeichneter Erzähler und der geborene Pädagoge.
     
    Draußen kümmerte sich Augustodunensis um die liturgische Messe. Die kleine Kirche von Cantimpré hatte sich mit fast allen Mitgliedern der Pfarrgemeinde gefüllt. Das Gefühl der Dankbarkeit, das diese einfachen Bauern erfüllte, hatte sie zu eifrigen Kirchgängern gemacht. An diesem Morgen waren nur fünf Frauen, denen der Zutritt zur Kirche nicht gestattet war, weil sie schwanger waren und deshalb als unrein galten, und ein paar Säuglinge im Dorf geblieben.

    Augustodunensis
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