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Achtzig Gedichte

Achtzig Gedichte

Titel: Achtzig Gedichte
Autoren: Georg Trankl
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Mond/Trunken von Mohnsaft dunkler Gesang.
Man muß diese Verse hören, nicht nur lesen: Im Zusammenspiel der Vokale und Konsonanten wird der
dunkle Gesang
, von dem die Rede ist, zugleich sinnlich erfahrbar – der dunkle Gesang Trakls.
    Viele Gedichte Trakls tragen im Titel die Bezeichnung
Gesang
oder
Lied.
Freilich handelt es sich nicht um Lieder nach der Art des jungen Goethe. Trakl orientiert sich an einer anderen Poetik. Der Dichter, so hatte Baudelaire gefordert, solle als ein Magier der Sprache durch kunstvolle Handhabung der Worte einen Beschwörungszauber ausüben. Sprachmagie: Solcher Lyrik geht es nicht um eine dichterische «Aussage», um Verstehbarkeit, sondern um die Faszinationskraft einer Konstellation von Worten – um eine sinnbetörende
frauenhafte Überredungskunst.
Trakls Gedicht ist kein Bilderrätsel, über dessen richtige Lösung der Leser sich den Kopf zu zerbrechen hätte; solch intellektuelles Bemühen verstellt den Zugang zu dieser Lyrik. Sie will mit allen Sinnen aufgenommen sein; das Zusammenspiel von Farben, Klängen und Rhythmen appelliert an Vor-Rationales, an die Phantasie des Lesers, nicht an seinen Verstand. In ihrer Dunkelheit und Suggestivität entspricht die reife Lyrik Trakls den von Baudelaire und den französischen Symbolisten entwickelten Vorstellungen von einer neuen Dichtkunst, poetischen Prinzipien, die für einen großen Teil der europäischen Lyrik dieses Jahrhunderts bestimmend wurden. Der «Sinn» des Gedichts ist der irrationale Simultaneffekt der in ihm versammelten Bilder, er wird heraufbeschworen durch ihre wechselseitige Spiegelung, ihre Interferenz, durch das Zusammenspiel von Wortklang und Wortbedeutung. Als prosaisches Destillat ist der Sinn des Gedichts nicht zu fassen.
    Auf die Erzielung eines solchen Simultaneffekts arbeitet Trakl bewußt hin. In einem Brief von 1910 beschreibt er seineVerfahrensweise als eine
bildhafte Manier, die in vier Strophenzeilen vier einzelne Bildteile zu einem einzigen Eindruck zusammenschmiedet.
Vermieden werden soll ein erzählerisches Nacheinander; erstrebt wird gleichzeitige Wirkung der Bildteile, ein Zusammenklang von Einzelelementen, wie er in der Musik und in der Malerei möglich ist. Erstrebt wird höchste Intensität und Komplexität dieses Simultaneffekts: das Gedicht soll
zum Bersten voll von Bewegung und Gesichten
sein. Die strenge Form gereimter, regelmäßig alternierender Vierzeiler dominiert in Trakls Gedichtband von 1913. Daneben finden sich jedoch auch schon reimlose Gedichte in freien Rhythmen, mit wechselnder Strophen- und Zeilenlänge; hier macht sich das Vorbild Rimbauds, dann auch Hölderlins bemerkbar.
    Besondere Aufmerksamkeit verdient Trakls Wendung vom
Zusammenschmieden.
Sie macht deutlich, daß seine Gedichte nicht, wie es angesichts ihrer alogischen, traumähnlichen Bilderfolgen zunächst den Anschein haben mag, spontane Niederschriften momentaner Eingebung sind, daß sie vielmehr bewußt «gemacht» wurden. Dies bestätigt sich bei einem Blick in die poetische Werkstatt des Dichters, in seine Handschriften und Entwürfe: Unablässig feilt er an den Gedichten, oft über Jahre hinweg; er arbeitet sie um, variiert einzelne Zeilen, versucht neue Bildkonstellationen; er zieht mehrere Strophen zu einer zusammen, entwickelt aus einer Gedichtstrophe ein eigenständiges Gedicht. Der Blick in die poetische Werkstatt Trakls zeigt, daß für ihn die Bezeichnung «Verseschmied» eine genaue Berechtigung hat. Die Träume des Dichters sind künstliche Träume, seine Blumen keine Naturgewächse, sondern Kunstprodukte.
    Es mag überraschen: Trakl, der Schwermütige, Verzweifelte, von Dämonen Besessene, von einem
infernalischen Chaos
Bedrohte – er präsentiert sich zugleich als ein überlegt arbeitender Wortkünstler, als Sprachartist. Das Wesen von TraklsSchmiedekunst erhellt sich jedoch erst vor dem Hintergrund des drohenden Chaos: das in dieser Werkstatt geschaffene Wortkunstwerk ist keinesfalls bloßes dekoratives Wortspiel. Dieser Schmied führt einen Kampf ums Überleben. Im Gedicht wird das Chaos gestalterisch «überwältigt», hier werden die den Dichter bedrängenden Dämonen gebändigt, gebändigt durch das Wort. Der dunkle Gesang des Orpheus besänftigt den wilden Rappen. Trakls Lyrik ist Sprachmagie auch in diesem Sinne – eine Beschwörung der
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