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Accra: Roman (German Edition)

Accra: Roman (German Edition)

Titel: Accra: Roman (German Edition)
Autoren: Kwei Quartey
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du aus Nordghana?«
    »Aus dem oberen Westen.«
    Dawson hatte richtig geraten. Die meisten Bewohner von Agbogbloshie kamen aus dem Norden.
    »Wo wohnst du?«
    »Hier, in Sodom und Gomorrha.«
    Diesen zynischen Spitznamen hatten die Bewohner Agbogbloshie gegeben, dem übelsten Slum Accras. Drogen, Prostitution, Vergewaltigungen, vierzigtausend illegale Hütten und praktisch jedes Jahr ein neuer, erfolgloser Regierungsplan, die Leute umzusiedeln.
    Dawson und Sly gingen einen Trampelpfad zwischen Bergen von Müll entlang, die aus den allgegenwärtigen Plastikbeuteln und -flaschen, alten Fernsehgehäusen, verschrotteten Scannern, Handys, Klimaanlagen, Kühlschränken, Faxgeräten, Mikrowellen, blinden Computerbildschirmen und kaputten Rechnern bestanden. Der Elektronikmüllberg zu ihrer Linken überragte Dawson.
    »Was hast du gerade gemacht, als du heute Morgen den Toten im Wasser entdeckt hast?«, fragte er Sly.
    »Kabel verbrannt.«
    Das war es, was den dichten schwarzen Qualm an den Ufern des Odaw verursachte. Die Jungen verbrannten Fernseh- und Computerkabel, um die Kupferdrähte freizulegen, die sie für fünfzig Pesewas das Kilo verkauften – oder für etwa achtzehn Cent das Pfund.
    Ein Stück weiter standen Teenager in einer Reihe. Wie an einem Montageband, musste Dawson denken, nur dass sie hier De montage betrieben. Der erste Junge brach die Rückseite eines alten Fernsehers mit einem Stein auf, der zweite entfettete die Kabel mit einer Reinigungslösung. Noch ein Stück weiter wurde ein Kabelfeuer entfacht. Dort standen fünf Jungen im Alter zwischen zehn und fünfzehn Jahren um einen Haufen ausgerissener Kabel herum. Sie kamen alle aus dem Norden Ghanas und sprachen Sly in schnellem Hausa an. Dawson sprach Hausa nicht fließend, verstand aber, dass sie wissen wollten, wer er war. Slys Antwort schien sie zufriedenzustellen, denn sie nickten lächelnd.
    »Ich habe ihnen gesagt, dass Sie mein Freund sind«, erklärte Sly.
    »Wo hast du Englisch gelernt?«, fragte Dawson.
    »Zu Hause bin ich zur Schule gegangen, bis mein Vater gesagt hat, ich soll mit meinem Onkel nach Accra.«
    »Gehst du hier auch in die Schule?«
    »Nein.«
    »Wieso nicht?«
    »Mein Onkel sagt, dass er mich nicht lässt. Ich soll Kupfer verkaufen und Geld verdienen.«
    Dawson sagte nichts dazu, jedenfalls noch nicht.
    Die Hausa-Jungen benutzten Isolierschaum als Brennmaterial und einen Zigarettenanzünder, um das Feuer in Gang zu bringen. Mit Stöcken stocherten sie in den Kabeln herum, sodass Luft herankam, und schufen so ein Miniaturinferno, von dem tödlicher schwarzer Rauch aufquoll. Obwohl er den Wind im Rücken hatte, bekam Dawson einiges von dem Gestank ab und wich unwillkürlich vor den giftigen Dämpfen zurück. Mit der Schuhspitze drehte er ein Teil von einem abgebrochenen Rechnergehäuse um und sah einen Aufkleber, auf dem SCHOOL DISTRICT OF PHILADELPHIA stand. Unbrauchbare Geräte wurden in reichen Ländern als wohltätige Spenden deklariert und landeten dann hier in Agbogbloshie.
    »Frag sie, ob einer von ihnen den Toten gesehen oder irgendwas gehört hat«, bat Dawson Sly.
    Der Junge tat es, und seine Freunde, die ganz mit ihrer Arbeit beschäftigt waren, antworteten einsilbig.
    »Sie haben nichts gesehen«, übersetzte Sly. »Und auch nichts gehört.«
    Dawson hatte nichts anderes erwartet. Sofern der Tote kein Freund von ihnen oder sonstwie wichtig war, interessierte er sie nicht besonders. Jemand ist gestorben. Na und?
    »Gehen wir«, sagte Dawson. Ein Stück weiter legte er Sly eine Hand auf den Kopf, als würde er einen Fußball greifen. »Dieses Zeug zu verbrennen ist gefährlich. Der Rauch, den du einatmest, vergiftet dich. Weißt du das?«
    Sly nickte unsicher, und Dawson fragte sich, ob er es tatsächlich begriffen hatte. Er wuschelte ihm durch das kurze drahtige Haar. »Du bist ein guter Junge, Sly. Ist dein Onkel zu Hause?«
    Der Junge schwieg verängstigt.
    »Magst du deinen Onkel nicht?«, fragte Dawson.
    »Doch, schon.«
    Aber der veränderte Klang seiner Stimme, brüchig wie ein Blöken, verriet Dawson, dass Sly log.
    »Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte Dawson. »Ich möchte nur mit ihm reden.«
    Auf dem Landstück zwischen der Ring Road im Westen und dem Ufer des Odaw River im Osten weideten ein paar Pferde und eine kleine Herde magerer Kühe. Sie gehörten Migranten, die als Nomaden gelebt und die Tiere mitgebracht hatten. Eine bizarre Verquickung von Landleben und Großstadtslum. Das gibt’s nur in
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