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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando
Autoren: Charles Stross
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doch
gleichzeitig herausfordernd.
    Manfred stellt sein Sensorium für unbegrenzte Zeit ab und
starrt sie an. Sie hat sich, makellos wie immer, herausgeputzt,
trägt formelle graue Geschäftskleidung. Ihr Haar ist straff
zurückgebunden, die blauen Augen mustern ihn spöttisch. Und
sie ist so schön wie eh und je: groß, aschblond, mit
Gesichtszügen, die verraten, dass sie auch als Model Karriere
gemacht hätte, was sie jedoch nie ausprobiert hat. Die an ihrem
Revers befestigte Dienstmarke, die alles aufzeichnet und
gewährleistet, dass sie sich nach Dienstvorschrift verhält,
ist ausgeschaltet. Wegen des toten Kätzchens und dem anhaltenden
Jetlag fühlt er sich sowieso schon beschissen, deshalb schnauzt
er zurück. »Diese Steuerschätzung ist doch frei
erfunden! Haben sie dich hierher geschickt, weil sie annehmen, ich
würde auf dich hören?« Er beißt ein Stück
von dem knusprigen Käsebrot ab und schluckt es hinunter.
»Oder wolltest du mir die Botschaft nur deswegen persönlich
überbringen, damit du mir mein Frühstück vermiesen
kannst?«
    »Manny.« Sie runzelt gequält die Stirn. »Falls
du Streit suchst, kann ich jetzt genauso gut gehen.« Als sie
nichts weiter sagt, bringt er ein entschuldigendes Nicken
zustande.
    »Ich bin nicht den ganzen Weg hierher gekommen, um dich an
deine überfällige Steuer zu erinnern.«
    Vorsichtig stellt er die Kaffeetasse ab, denkt kurz nach und
versucht dabei, sein mulmiges Gefühl und den inneren Aufruhr vor
ihr zu verbergen. »Also, was führt dich hierher? Nimm dir
ruhig Kaffee. Erzähl mir bloß nicht, du hättest die
ganze Reise gemacht, um mir zu sagen, dass du ohne mich nicht leben
kannst.«
    Sie fixiert ihn mit einem Blick, der wie ein Peitschenhieb wirkt.
»Bilde dir bloß nichts ein. Der Wald ist voller Bäume
und der Chat Room voller hoffnungsvoller Männer, die sich gern
unterwerfen. Und so weiter und so fort. Auf eines kannst du dich
verlassen: Wenn ich mir einen Mann suche, der den Stammbaum meiner
Familie erweitern soll, dann ganz sicher keine arme Kirchenmaus, die
nicht mal für die eigenen Kinder sorgen kann.«
    »Das Letzte, was ich gehört habe, war, dass du viel mit
Brian zusammensteckst.« Brian ist nur ein Name für ihn,
kein Gesicht. Jemand, der zu viel Geld und zu wenig Grips hat. Muss
irgendwas mit einer Blue-Chip-Anlegergemeinschaft zu tun haben.
    »Brian?« Sie schnaubt verächtlich. »Das ist
schon lange aus und vorbei. Er ist mir gegenüber ausgerastet,
hat mein Lieblingskorsett verbrannt, mich als Nutte bezeichnet, weil
ich in Clubs verkehre, wollte mich ficken. Sah sich selbst als
Familienmenschen, als einen dieser Typen, die ihre Versprechen
halten. Ich hab mich Knall auf Fall von ihm getrennt, aber er hat,
glaube ich, eine Kopie meines Adressbuchs geklaut. Freunde haben mir
erzählt, dass er ihnen ständig nervende Mails
schickt.«
    »Kommt heutzutage oft vor.« Manfred nickt, beinahe mit
Anteilnahme, obwohl er in einem bösen kleinen Winkel seines
Gehirns Schadenfreude empfindet. »Sei froh, dass du ihn los
bist. Ich nehme an, das heißt, dass du immer noch in der Szene
mitmischst? Und gleichzeitig, äh, Ausschau
hältst…«
    »Nach dem Mann, mit dem ich eine traditionelle Familie
gründen kann? Ja. Weißt du, was dein Problem ist, Manny?
Du bist vierzig Jahre zu spät auf die Welt gekommen. Du
hältst immer noch viel vom Herumbumsen vor der Ehe; aber mit den
Folgen möchtest du dich nicht auseinander setzen.«
    Manfred trinkt seinen Kaffee aus, weil ihm keine
schlagkräftige Antwort auf ihren Mangel an Logik einfallt. Es
ist ein Generationsproblem. Diese Generation freut sich an Latex und
Leder, Peitschen, Analverkehr mit Hilfe gewisser Utensilien und
elektrischen Stimulationen, doch die Vorstellung,
Körperflüssigkeiten miteinander auszutauschen, findet sie
schockierend. Dies ist ein gesellschaftlicher Nebeneffekt des
Missbrauchs von Antibiotika im letzten Jahrhundert. Obwohl Pamela und
er zwei Jahre lang miteinander verlobt waren, haben sie nie
unmittelbaren Geschlechtsverkehr mit Penetration gehabt.
    »Ich habe einfach keine positive Einstellung dazu, Kinder in
die Welt zu setzen«, erklärt er irgendwann. »Und ich
habe auch nicht vor, diese Einstellung in naher Zukunft zu
ändern. Alles wandelt sich derzeit in so rasantem Tempo, dass
selbst eine Verpflichtung für die nächsten zwanzig Jahre zu
weit in die Zukunft reicht – man könnte genauso gut
über die nächste Eiszeit reden. Was das Geld betrifft,
könnte ich Nachwuchs
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