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Absätze – Dramatische Kraftzellen im Roman

Absätze – Dramatische Kraftzellen im Roman

Titel: Absätze – Dramatische Kraftzellen im Roman
Autoren: Stephan Waldscheidt
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hineingrub – er wollte sie schreien hören, aber
den Gefallen würde sie ihm nicht tun. Sie ergab sich in die
Berührung.¶
    Es würde eine Zeit kommen, in der sich die Dinge zwischen
ihnen änderten. Diese Zeit würde in einer halben Stunde
beginnen. Alles war vorbereitet.¶
    »Du kannst mir nicht weh tun«, flüsterte sie in sein Ohr.
»Nicht mehr.«
     
    Grete und Hans umarmten sich. Grete spürte die Hand ihres
Mannes, wie sie sich fest an ihre Hüfte drückte, fest und
immer fester hineingrub – er wollte sie schreien hören, aber
den Gefallen würde sie ihm nicht tun.¶
    Sie ergab sich in die Berührung. Es würde eine Zeit kommen,
in der sich die Dinge zwischen ihnen änderten. Diese Zeit
würde in einer halben Stunde beginnen. Alles war
vorbereitet.¶
    »Du kannst mir nicht wehtun«, flüsterte sie in sein Ohr.
»Nicht mehr.«
     
    Der Unterschied ist subtil: Im ersten Beispiel schließt der
Satz »Sie ergab sich ...« einen Absatz ab, der Satz erhält
durch die Absatzmarke Raum, sich im Leser zu entfalten, er
hat etwas Offenes. In Beispiel zwei hängt derselbe Satz
stärker mit den unmittelbar darauf folgenden Gedanken
zusammen: Während Grete sich in die Berührung ergibt, denkt
sie schon weiter; das Offene, wie im ersten Beispiel, fehlt.
    Diese Beispiele zeigen, wie fein sich durch Gestaltung von
Absätzen ein Text austarieren lässt. Entsprechend an Gewicht
gewinnen Geschmacksunterschiede.
     
    Ganz Mutige reizen die Gestaltungsmöglichkeiten noch weiter
aus und unterbrechen der Betonung wegen sogar einen Satz,
wie etwa Birgit Vanderbeke in ihrem Roman »
Alberta empfängt
einen Liebhaber
« (Fest 1997):
     
    Das taten sie schließlich. Vorher röchelten sie noch eine
Weile,¶
    und dann war es still.
     

 
5. Absätze als Tempo-Geber
     
    Wie oben bei James Patterson erläutert, wirkt ein Text
schneller, je mehr Absätze er enthält: Der Leser benötigt
für eine Seite schlicht weniger Lesezeit. Gleichzeitig
blättert er häufiger um, was den Eindruck eines höheren
Tempos weiter verstärkt.
     
    Aber: Einzelne Textabschnitte lassen sich rascher lesen,
wenn sie nicht von Absätzen unterbrochen werden. Der Blick
springt weniger, das Auge nimmt den Text als Einheit wahr:
Punkte bremsen nicht so stark wie Absatzmarken. Stimmt der
Inhalt, kann der Autor den Leser sogar in einen Flow
hineinschreiben, wie es etwa Treichel bei seinem absatzarmen
Roman schafft.
    Manche Autoren erreichen durch den übermäßigen Gebrauch
dieses Stilmittels das Gegenteil dessen, was sie anstreben.
Statt das Tempo zu erhöhen, bremsen sie den Leser, im
Extremfall nerven sie ihn. Ein typischer Anfängerfehler ist
es, viele Absätze mit kurzen Sätzen zu kombinieren. Der
Leser rattert darüber wie eine Kutsche über schlecht
verlegte Pflastersteine.
     
    Grete blieb stehen.¶
    Sie wartete.¶
    Würde er kommen?¶
    Sie waren um neun verabredet.¶
    Jetzt war es zehn.¶
    Sie ging hin und her, spielte mit ihrem Autoschlüssel.¶
    Würde er kommen?¶
     
    Statt Dynamik und Dramatik zu erfahren, wird der Leser so
nervös, wie es Grete sein sollte. Dabei lässt sich die Szene
ohne inhaltliche Veränderungen allein durch den effektiveren
Gebrauch von Absätzen dramatischer gestalten – und
beschleunigen.
     
    Grete blieb stehen. Sie wartete. Würde er kommen? Sie waren
um neun verabredet. Jetzt war es zehn. Sie ging hin und her,
spielte mit ihrem Autoschlüssel.¶
    Würde er kommen?¶
     
    Entsprechend lassen sich Absätze einsetzen, um einen
langsamen Text zu beschleunigen oder um einen schnellen Text
zu verlangsamen. »Wenn der Augenblick da ist, wo ein Text
schneller wird«, so Stephen King, »dann auf der Ebene von
Absätzen.«
     
    Mit Absätzen können Sie (langsamere) erzählende Passagen
von (schnelleren) Passagen mit Handlung prägnant voneinander
abgrenzen.
    Auf den Text als Ganzes bezogen, erzielen Sie mit
geschickter Absatzgestaltung ein abwechslungsreiches und
angenehmes Tempo.
     
    Sofern der Inhalt stimmt.
     

 
6. Absätze als Rhythmus-Maschine
     
    In dem Gegenbeispiel oben zur Gestaltung des Tempos zeigt
sich auch, wie ein Absatz den Rhythmus eines Textes – hier
zu einem unangenehmen Stakkato – verändern kann. Erkennen
und beurteilen lässt sich der Rhythmus freilich erst in
längeren Textpassagen.
     
    Grete blieb stehen. Sie wartete. Würde er kommen? Sie waren
um neun verabredet. Jetzt war es zehn. Sie ging hin und her,
spielte mit ihrem
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