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Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)

Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)

Titel: Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)
Autoren: Petros Markaris
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Demonstrationszug anhält, um Parolen zu skandieren. Sie streckt den Vorbeiziehenden das Mikro entgegen und fragt:
    »Was bringen zwei Demos hintereinander zur Wiedereinführung der Drachme? Einmal zu Jahresende und einmal zu Jahresbeginn?«
    »Wir möchten den Völkern Südeuropas eine Botschaft vermitteln: Ende 2013 eröffnet sich zum ersten Mal nach Jahren endlich wieder eine Perspektive. Das neue Jahr beginnt mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Wir sind alle zusammen hier, um gemeinsam dafür zu kämpfen: Griechen, Italiener, Spanier, aber auch Portugiesen und Zyprioten, die heute nicht dabei sein können.«
    Die Reporterin geht weiter zu einem jungen Mann aus dem italienischen Block.
    »Why did you come to Greece to celebrate?«, fragt sie.
    »Italy is not like Greece«, erwidert der Italiener. »Italy is the third economic power in Europe. But now Italy is like Greece. So we come to Greece. To celebrate the lira, to celebrate the drachma, to celebrate the peseta. Fuck the euro!«
    »›Italien ist nicht wie Griechenland‹«, erklärt uns der junge Mann«, sagt die Reporterin in die Kamera. »›Italien ist die drittgrößte Wirtschaftsmacht in Europa, jetzt aber nicht besser dran als Griechenland. Deshalb sind wir hierhergekommen. Um die Lira, die Drachme und die Peseta zu feiern.‹ Den letzten Satz muss ich, glaube ich, nicht übersetzen.«
    Die Reporterin geht auf ein junges Mädchen im spanischen Block zu, die eine Freundin als Dolmetscherin zu Hilfe ruft.
    »Meine Mutter und meine Großmutter haben mir von ihrem Leben mit der Peseta erzählt. Das war für sie ganz normal, mit allen Vor- und Nachteilen. Unsere Generation ist mit einem Traum aufgewachsen, dem sie alles andere untergeordnet hat und aus dem sie schließlich erwachen musste. Wir wollen weder den Traum noch das böse Erwachen danach. Wir wollen Normalität.«
    Ich beschließe, ihnen zu folgen, da keine Randale zu befürchten ist. Die Demo bewegt sich von der Stadiou-Straße über den Syntagma-Platz vor das Parlament. Parolen werden skandiert, und die MAT -Sondereinheiten verfolgen das Geschehen aus der Distanz. Ich gehe an ihnen vorbei zu Esperoglou.
    »Was machen wir jetzt?«, frage ich ihn in der Hoffnung, dass unser Einsatz beendet ist.
    »Wir bleiben, bis die Demonstranten weg sind«, gibt er mir zurück. »Aber die halten nicht mehr lange durch. Die rufen noch ein paar Sprüche, machen noch ein bisschen Krach, um das Gesicht zu wahren, und ziehen dann ab.«
    »Was ist mit dem Gehaltsstopp? Ist der hier gar kein Thema?«
    Er schaut mich an, als käme ich vom Mars.
    »Die meisten sind arbeitslos, und wer noch Arbeit hat, hat seit Monaten kein Geld gesehen. Der Gehaltsstopp ist für diese Leute Alltag.«
    Während wir darauf warten, dass sich die Demo langsam auflöst, kommt es zu einer überraschenden Wendung. Vom Amalias-Boulevard her ist plötzlich Krach und Geschrei zu hören.
    »Wer ist das denn? Ich brauche dringend Informationen!«, ruft Esperoglou in sein Funkgerät.
    Der Krawall kommt näher, bis an der Einmündung des Amalias-Boulevards in den Syntagma-Platz eine Gruppe alter Leute auftaucht – ohne Transparente, nur mit Parolen.
    »Rentner?«, wundert sich Esperoglou. »Wollen die denn auch die Drachme hochleben lassen?«
    Der erste Slogan straft ihn prompt Lügen.
    »Wir wollen den Euro zurück!«, ruft einer der Rentner.
    »In Euro waren unsere Renten schon nicht viel wert, aber in Drachmen gar nichts mehr. Wir wollen zumindest das wenige zurückhaben! Gebt uns den Euro wieder!«
    »Die Troika soll weg, der Euro soll bleiben!«, ruft ein Dritter und deutet auf die Pappfiguren.
    »Bildet einen Schutzwall zwischen den beiden Gruppen!«, ruft Esperoglou in sein Funkgerät. Ich beziehe in angemessenem Sicherheitsabstand hinter ihm Posten, da ich hier nur der Hilfskellner bin und besser nicht in die Schusslinie gerate.
    »Ihr Rotzlöffel! Ihr und eure Eltern habt uns das Ganze eingebrockt, und jetzt jubelt ihr über die Drachme!«, schreit eine alte Frau.
    »Ich war zehn Jahre Gastarbeiter in Deutschland«, meint ein Siebzigjähriger zur Reporterin, die ihm das Mikrophon hinhält. »Es war die Drachme, die mich zur D-Mark getrieben hat, nicht der Euro. Meine Tochter und mein Schwiegersohn sind in Watte gepackt aufgewachsen, genau wie die jungen Leute da. Die begreifen jetzt erst, was Armut ist, und wollen die Drachme zurück, weil sie sich vor Angst in die Hosen machen. Mit dem Euro waren wir wer, mit der Drachme gab’s nur
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