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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt
Autoren: Dieter Noll
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also jetzt sofort die Amerikaner bei ihren Fahrzeugen überfallen. Äußere dich zu den Einzelheiten, Holt.«
    Es war soweit. Draußen dämmerte der Tag. Holt setzte denHelm auf. Er dachte flüchtig: Meine Mutter … Aber nichts regte sich bei diesem Gedanken. Mein Vater … er hat mir alles gesagt. Aber er hat mir die Wahrheit hingeworfen, wie man einem Hund einen Knochen hinwirft, da war ich zu stolz und wollte die Wahrheit nicht hören, auch das ist meine Schuld.
    »Los, äußere dich!« rief Wolzow ungeduldig.
    Holt stand auf und faßte die Maschinenpistole. Er sagte: »Die Truppe geht zurück oder kapituliert.«
    Winkler, neben dem Ausgang, beugte sich nach vorn und starrte Holt überrascht an.
    Wolzow stützte die Hände auf den Kartentisch und hob das Gesicht.
    Holt ging zum Radio. Aus dem Lautsprecher drang die Stimme des Sprechers: »Erbitterte Kämpfe … Durchbruch russischer Panzer zwischen Muskau und Guben … Durchbruch im Raum Wriezen … Durchbruch … Durchbruch …« – »Stell ab!« schrie Wolzow. »Hier wird gekämpft bis auf den letzten Mann!«
    Holt sagte: »Es wird nicht mehr gekämpft!«
    »Nimm dich in acht«, zischte Wolzow. »Ich hab schon einen umgelegt, eigenhändig, reiß dich zusammen, sonst …«
    Holt nahm Wolzows Koppel mit der Pistolentasche und warf es durch die Tür in den dunklen Kohlenkeller.
    »Es ist aus, Wolzow!« sagte Holt. Wolzows Gesicht verzerrte sich.
    »Winkler!« schrie Holt.
    Winkler riß mit einem Griff Vetters Maschinenpistole vom Haken. Vetter fuhr zurück und starrte hilfesuchend auf Wolzow.
    Wolzows Hände tasteten über die Uniform, dann sprang er gegen Holt. Holt stieß den Kartentisch um. Die schwere Platte warf Wolzow gegen die Kellerwand. Holt hob die Maschinenpistole, er richtete sie auf Wolzow, er schrie:
    »Du bringst keinen mehr um, Wolzow!«
    Wolzow starrte in die Mündung der Waffe, starrte in Holts Gesicht und wurde fahl. Aus seiner Stirn brach Schweiß, ein Zittern ging über seine Gestalt. Er blieb unbeweglich stehen.
    »Winkler«, sagte Holt. »Sie übernehmen wieder das Kommando.Gehn Sie nicht nach Bucheck zurück, dort soll SS sein, gehn Sie südlich durch die Wiesen oder gleich in Gefangenschaft, wie Sie meinen …« Auf einmal versagte seine Stimme.
    Winkler hielt den Türgriff in der Hand. »Komm mit, Holt!« – »Ich komm nach.« Die Tür fiel hinter Winkler ins Schloß.
    Wolzow sagte mit einer kratzigen Stimme: »Das ist Verrat! Die Truppe ist noch gut für vierundzwanzig Stunden Häuserkampf!«
    Holt fuhr herum. Er schrie: »Gestern waren’s zweihundert; und wieviel sind übriggeblieben? … Du willst hier Lesebuchgeschichten aufführen, aber …« Er brach ab. Bei dem ist jedes Wort vergeblich.
    »Ich fühl mich nicht zum Henker berufen«, sagte Holt, »ich geh.« Er rief: »Aber lauf mir nicht über den Weg, Wolzow! Verkriech dich irgendwo, aber laß dich nicht vor mir sehen!«
    Er stand schon in der Tür. Als Wolzow nicht mehr die Waffe auf sich gerichtet fühlte, geriet er außer sich. Er schrie, nach vorn geneigt: »Warte, du Verbrecher! Warte, ich hol die SS aus Bucheck, ich komm wieder, du sollst hängen, ich will dich hängen sehn neben Wehnert!« Seine Stimme überschlug sich.
    Holt warf die Tür ins Schloß. Er ging langsam durch die Gärten zum Stadtrand.
     
    Die Chaussee im Tal war von Nebel verhüllt, und der Nebel verbarg die Fahrzeuge der Amerikaner und hüllte auch die zurückgehende Truppe ein. Holt fand den Graben, die Villen am Stadtrand verlassen. Zwischen Bombentrichtern lagen die Toten. Die Stadt war menschenleer.
    Holt stand am Ortseingang bei einem der zertrümmerten Panzer. Die letzten Soldaten zogen gebückt durchs Gebüsch und tauchten im Nebel unter. Dann war Stille. Holt sah zu den Amerikanern hinüber. Nun, da der Bruch vollzogen war, da er sich losgesagt hatte von aller Vergangenheit, fühlte er sich einsam. Was wird nun aus mir? Er dachte an Gomulka.
    So stand er lange, an den rußigen Stahl des Panzers gelehnt.
    Es war nun taghell. Langsam hob sich der Nebel. Holt hörte Geschrei, das mußte in der Stadt sein. Er wendete sich um und ging in Richtung Marktplatz.
    Benagelte Stiefel knallten über das Pflaster. Jemand rannte die Straße hoch zum Ortsausgang, das war Vetter. Holt drückte sich in eine Mauerecke. Aber Vetter kam auf ihn zu, waffenlos und mit dem Gesicht eines Menschen, dem der Schreck Verstand und Überlegung geraubt hat. Er packte Holt an beiden Armen und stammelte: »Der Wolzow … sie
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