Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abendstern - Roman

Abendstern - Roman

Titel: Abendstern - Roman
Autoren: Nora Roberts
Vom Netzwerk:
»Scheiße, jetzt blute ich auch noch.« Er riss ein Büschel Gras aus und wischte sich das Blut ab, das aus den Kratzern tropfte.
    »Auf gar keinen Fall.« Cal sah, wie nachdenklich Gage das Wasser betrachtete. »Keiner geht da mehr rein. Außerdem kannst du gar nicht gut genug schwimmen, um es zu versuchen.«
    »Warum hast du sie als Einziger gesehen?«
    »Das weiß ich nicht, aber das ist mir auch egal. Ich will hier nur noch weg.«
    Cal sprang auf und ergriff seine Hose. Bevor er hineinschlüpfen
konnte, fiel sein Blick auf Gages Rücken. »Ach, du liebe Scheiße. Dein Rücken sieht ja übel aus.«
    »Mein Alter war gestern Abend betrunken. Es ist nicht so schlimm.«
    »Mann.« Fox trat um ihn herum, um es sich ebenfalls anzusehen. »Das muss doch wehtun.«
    »Das Wasser war schön kühl.«
    »Ich habe meine Erste-Hilfe-Tasche …«, begann Cal, aber Gage unterbrach ihn.
    »Ich habe doch gesagt, es ist nicht schlimm.« Er zog sich sein T-Shirt über den Kopf. »Wenn ihr zwei nicht den Mut habt, noch einmal ins Wasser zu gehen, dann können wir eigentlich auch weitergehen.«
    Fox verteilte Little Debbies und nahm eine Dose Coke aus dem Sixpack, das er im Supermarkt gekauft hatte. Weil der Zwischenfall im Teich und die Striemen auf Gages Rücken zu wichtig waren, redeten sie nicht davon. Stattdessen zogen sie sich an und machten sich kauend auf den Weg.
    Auf halber Strecke überlegte Cal, was er eigentlich gesehen hatte. Warum war er der Einzige gewesen? Warum war ihr Gesicht im schlammigen Wasser so klar gewesen? Er hatte doch noch nicht einmal die Brille aufgehabt. Wieso hatte gerade er sie gesehen? Mit jedem Schritt, den er sich weiter vom Brunnen entfernte, fiel es ihm leichter, sich einzureden, dass er sich alles nur eingebildet hatte.
    Er würde es zwar im Leben nicht zugeben, aber vielleicht war er wirklich nur ausgerastet.
    Die Hitze trocknete seine feuchte Haut, und er begann
zu schwitzen. Wie mochte Gage es wohl aushalten, dass ihm das T-Shirt am Rücken klebte? Mann, diese Striemen waren so rot und dick, das musste doch einfach wehtun. So schlimm wie dieses Mal war es noch nie gewesen. Er wünschte, Gage ließe sich von ihm Salbe daraufschmieren.
    Wenn es sich nun entzündete? Wenn er nun eine Blutvergiftung bekam und anfing zu fantasieren, während sie auf dem Weg zum Heidenstein waren?
    Dann würde er Fox losschicken, um Hilfe zu holen, ja genau, das würde er tun - Fox würde Hilfe holen, während er bei Gage blieb und die Wunden versorgte und ihm zu trinken gab, damit er nicht - wie hieß das noch mal? - dehydrierte.
    Natürlich wären sie alle dran, wenn sein Dad sie abholen käme, aber auf jeden Fall würde Gage geholfen.
    Vielleicht würde Gages Vater ja ins Gefängnis kommen. Und was würde dann passieren? Müsste Gage dann ins Waisenhaus?
    Der Gedanke jagte ihm beinahe so viel Angst ein wie die Frau im Teich.
    Sie machten Rast und setzten sich in den Schatten, um sich eine von Gages gestohlenen Marlboros zu teilen. Cal wurde davon immer schwindelig, aber er fand es ganz nett, mit seinen Freunden hier im Wald zu sitzen, während hinter ihnen Wasser über die Steine plätscherte und um sie herum die Vögel zwitscherten.
    »Wir könnten ja hier unser Lager aufschlagen«, sagte Cal mehr zu sich selbst.
    »Auf keinen Fall.« Fox boxte ihm an die Schulter.
    »Wir werden am Heidenstein zehn. Der Plan wird jetzt
nicht mehr geändert. Es dauert keine Stunde mehr, bis wir da sind, oder, Gage?«
    Gage starrte durch die Bäume. »Ja. Wir kämen schneller voran, wenn ihr Typen nicht so viel mitgebracht hättet.«
    »Du hast die Little Debbies auch gegessen«, rief Fox ihm ins Gedächtnis.
    »Ja, klar. Also …« Er drückte die Zigarette aus und legte einen Stein über die Kippe. »Auf die Pferde, Soldaten!«
    Niemand kam hierher. Cal wusste, dass das nicht stimmte, weil es zumindest in der Jagdsaison hier von Jägern wimmelte.
    Aber man hatte das Gefühl, dass niemand hierherkam. Das hatte er auch schon bei den beiden anderen Malen, als sie zum Heidenstein gegangen waren, so empfunden. Aber da waren sie früh am Morgen aufgebrochen und vor zwei Uhr wieder zurück gewesen.
    Jetzt jedoch war es auf seiner Timex fast vier. Trotz des kleinen Kuchens knurrte ihm der Magen. Am liebsten hätte er in seinem Rucksack nachgeschaut, was seine Mutter ihm alles eingepackt hatte, aber Gage trieb sie an, weil er unbedingt zum Heidenstein wollte.
    Die Erde in der Lichtung wirkte verbrannt, als ob ein Feuer dort alles in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher