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Abbau Ost

Titel: Abbau Ost
Autoren: Olaf Baale
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der Schuldzuweisungen und der Schadensbegrenzung. »Wo«, fragte
     die ostdeutsche CDU-Politikerin Angela Merkel besorgt, »waren die Menschen in den neuen Bundesländern?« Was dachten die Nutznießer
     dieses unvorstellbaren Geldsegens, jene, wie es ›Der Spiegel‹ ausdrückte, »47 Prozent aller Erwachsenen in Ostdeutschland,
     die ihren Lebensunterhalt überwiegend aus Sozialtransfers bestreiten«? Hatten möglicherweise sie ein gutes Geschäft gemacht?

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Ehemalige DDR-Bürger
    Die heutige Lage in der ehemaligen DDR ist in der Tat vollkommen
anders als bei uns 1945. Das Regime hat fast ein halbes Jahrhundert
die Menschen verzwergt, ihre Erziehung, ihre Ausbildung verhunzt
. Jeder sollte nur noch ein hirnloses Rädchen im Getriebe sein,
ein willenloser Gehilfe. Ob sich heute einer dort Jurist nennt oder
Ökonom, Pädagoge, Psychologe, Soziologe, selbst Arzt oder Ingenieur
, das ist völlig egal: Sein Wissen ist über weite Strecken völlig
unbrauchbar. Wir können den politisch und charakterlich Belasteten
ihre Sünden vergeben, alles verzeihen und vergessen. Es wird
nichts nützen; denn viele Menschen sind wegen ihrer fehlenden
Fachkenntnisse nicht weiter verwendbar. Sie haben einfach nichts
gelernt, was sie in eine freie Markwirtschaft einbringen könnten.
     
    Arnulf Baring, Historiker und Publizist, in ›Deutschland, was nun? Ein Gespräch mit Dirk Rumberg und Wolf Jobst Siedler‹,
     Berlin 1991
    Noch gibt es neun Millionen ehemalige DDR-Bürger. Sie sind die Letzten eines kleinen Volkes mitten in Europa. Es sind Menschen,
     die im zweiten deutschen Staat geboren und aufgewachsen sind |18| oder den größten Teil ihres Lebens in der Deutschen Demokratischen Republik verbracht haben. Die jüngsten ehemaligen DDR-Bürger
     waren 1989, als sich ihr Staat auflöste, zumindest 18 Jahre alt. In den entscheidenden Phasen ihrer Sozialisation standen
     sie unter dem Einfluss eines, wie es im wiedervereinigten Deutschland heißt, realsozialistischen Herrschaftssystems. Äußerlich
     sind sie von anderen Deutschen nicht zu unterscheiden, und doch handelt es sich um einen außergewöhnlichen Menschenschlag.
     Ehemalige DDR-Bürger besitzen allein aufgrund ihrer Geburt und historischer Umstände, die sie nicht beeinflussen konnten,
     eine Identität, die sie aus der Masse deutscher Staatsbürger heraushebt und die sie, selbst wenn sie es wollten, nur schwer
     ablegen können. Sogar jene, die ihre angestammte Heimat verlassen haben und heute in westlichen Bundesländern oder im Ausland
     leben, verbindet ein reißfester Faden mit ihrer Vergangenheit. Sie ziehen, ob sie dies nun wollen oder nicht, immer wieder
     persönlich Bilanz und vergleichen ihr früheres mit dem heutigen Leben. Ihr Vergleichsmaßstab ist die DDR. Auch wenn die Erinnerungen
     mit den Jahren etwas verblassen, so treten Details, wenn es die Umstände nahelegen, wieder klar und deutlich hervor. Vielen
     erscheint es wie ein Fluch, sie distanzieren sich von ihrer Herkunft, sie verschließen die Augen und legen einen Grand Canyon
     zwischen sich und ihre Vergangenheit. Sie treiben die Assimilation im vereinigten Deutschland bis zur Selbstverleugnung. Andere
     bekennen sich zu ihrer Prägung und gewinnen zunehmend Gelassenheit. Allen gemeinsam ist, dass sie diese ostdeutsche Identität
     niemals gewollt haben, sie ist ihnen erst nach der Wiedervereinigung zugewachsen. Eigentlich wollten sie schon lange ganz
     normale Bundesbürger sein, doch die meisten sind es nie wirklich geworden und möchten es inzwischen auch gar nicht mehr werden.
     Der ›Sozialreport 2004‹ des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums Berlin-Brandenburg e. V. liefert »Daten und Fakten
     zur sozialen Lage in den neuen Bundesländern« und fragt nach den Hintergründen dieser Entwicklung. Zwar wird die Wiedervereinigung
     von den Ostdeutschen »insgesamt positiv bewertet«, auch gebe es, »von Einzelpersonen abgesehen, keine restaurativen |19| Vorstellungen«, dennoch fühlen sich gerade mal 38 Prozent der ehemaligen DDR-Bürger mit Deutschland stark oder ziemlich stark
     verbunden. Auf der anderen Seite gibt es bei fast drei Vierteln der Befragten ein starkes Gefühl der Verbundenheit mit Ostdeutschland,
     dem früheren Territorium der DDR. Bei der Frage nach der »Selbstzuordnung und Identifikation mit dem bundesrepublikanischen
     System« fühlt sich überhaupt nur jeder Fünfte als »richtiger Bundesbürger«. Die jeweilige »Selbstzuordnung« steht in engem
    
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