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ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)

ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)

Titel: ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
Autoren: Christian Jeltsch
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zusammenschließen.
    Linus dachte an Edda. Das Gefühl, sich auf sie einzustimmen, gelang ihm nicht. Dieses unermesslich große Gefühl, mit einem Menschen eins zu sein ... vergeblich wartete Linus darauf. Er dachte an Eddas braune Augen, an ihr Lächeln. Er konnte ihr Gesicht erkennen, die Haare, die im Wind ihr Gesicht umspielten. Die Hand, die sich erhob, als wollte sie ihn grüßen.
    Wie zum Abschied.
    Edda! Edda!, schrie Linus in seinen Gedanken. Kein Ton drang aus seinem Mund. Er konnte sie nicht aufhalten. Sie sah ihn nicht und sie hörte ihn nicht.
    Edda verschwand.
    Angst! Linus fiel ein, dass sie ihre gemeinsame Angst zum ersten Mal „verbunden“ hatte. Hier am Boden, gelähmt und unfähig, seine Gegner zu sehen, hätte er doch unfassbare Angst empfinden müssen. Aber da war nichts. Es schien, als hätte der Schuss auch seine Angst gelähmt.
    Simon! Linus vertrieb die Gedanken an Edda und kämpfte darum, Simon nahe zu kommen. Ihre wilden Monate tauchten vor seinem inneren Auge auf, und er schaffte es, das Glück ihrer Freundschaft zu empfinden. Aber er fand keinen Kontakt. Das Schiff mit den Freunden verschwand in der Nacht. Und es war, als wäre mit dem Verschwinden des Bootes die Welt um Linus erfroren.
    Der Mond war wieder hinter schwarzen Wolken verschwunden, der Wind hatte sich gelegt, und noch bevor Linus ihn fühlen konnte, kündigte sich aus seinen Eingeweiden ein unerträglicher Schmerz an. Linus rang mit der Müdigkeit. Seine Augen wollten sich schließen. Er kämpfte dagegen an. Es war, als flüstere ihm jemand ein, dass er niemals die Augen schließen dürfe, dass er niemals einschlafen dürfe. Todmüde sackte der Kopf von Linus nach vorn. Erschrocken riss er ihn wieder hoch. Doch er konnte ihn nicht halten.
    Der Kopf wankte. Plötzlich aber empfand Linus nur noch Leichtigkeit. Ihm war, als beginne er zu schweben. Kein Schmerz, keine Trauer mehr. Der metallene Geschmack in seinem Mund war verschwunden.
    Er selbst war verschwunden.
    Linus nahm sich nicht mehr wahr, wie er es gewohnt war. Er musste nicht schauen, um zu wissen, wo er sich befand. Kein Raum. Keine Zeit. Um ihn herum war nichts Wahrnehmbares mehr. Es gab nur das große, klare Bewusstsein, dass er war. Absolute Freiheit! Und eine unerschütterliche Sicherheit erfüllte ihn. Dass er immer war und immer sein würde. Wie hatte er jemals daran zweifeln können? Wie hatte er jemals Angst haben können? Angst vor dem Tod, vor der ersten Liebe, dem ersten Kuss. Angst vor dem Leben. Und wenn er immer war, dann galt das auch für Edda und Simon. Er konnte die Freunde nicht verlieren. Es war unmöglich.
    Diese Gewissheit breitete sich wohlig in ihm aus, gab ihm die Sicherheit des Geborgenseins wie vor vielen Jahren auf den langen nächtlichen Autofahrten in die Ferien. Als der Motor eintönig brummte und er von der Rückbank den Eltern zusah, wie sie in großer Vertrautheit schwiegen, und er gewusst hatte, dass alles gut war.
    Alles ist gut.
    Wie banal diese drei Worte klangen. Für Linus waren sie eine Erlösung. Sie waren voll großer Wahrheit. Und einfacher Klarheit. Er hatte verstanden. Er hatte alles verstanden. Und alles war gut.
    Plötzlich fiel Linus. Tiefer und tiefer. Rasend schnell. Er wollte sich festhalten, doch griff er ins Leere. Er wollte sich wehren, wollte zurück. Wollte schweben, wollte seine Freiheit behalten. Doch nur erdenschwer fühlte er sich. Lichter strahlten ihn an, verschwanden. Tauchten wieder auf. Im immer gleichen Rhythmus. Und wieder erfüllte der Geschmack von Metall seinen Mund. Es gab keinen Weg zurück in die Leichtigkeit. Die Lichter gaben einen Rhythmus vor. Und dann begriff Linus, dass er auf einer Trage lag und durch den Gang eines Krankenhauses geschoben wurde. Über ihm verschwanden die Neonleuchten an der Decke und tauchten wieder auf.
    „Schusswunde! Starker Blutverlust. Nicht ansprechbar. Identität unbekannt.“ Die Stimmen gingen durcheinander. Und Linus nahm das Quietschen der Gummisohlen auf dem Linoleum wahr. „Starker Blutverlust. Abdomen geschwollen!“
    Menschen in Weiß rollten ihn im rasenden Tempo über den Flur und durch eine Flügeltür.
    „Schockraum. Los! Schwingt die Keulen!“
    Gar nichts war gut!
    Linus spürte eine Maske auf seinem Gesicht. Sauerstoff strömte in seine Nase, seinen Mund. Wie absurd, dachte Linus, und er ahnte, dass man versuchen würde, ihn zu retten. Gegen seinen Willen. Er hatte keine Chance zu protestieren. Er rollte weiter und weiter, den Lichtern
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