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74 - Mein Leben und Streben

74 - Mein Leben und Streben

Titel: 74 - Mein Leben und Streben
Autoren: Karl May
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die es mir diktierte. Solange sich der Mensch im niedrigen bewegt, und das mußte ich in dieser meiner Lebensbeschreibung doch mehr als reichlich tun, hat das Niedrige Macht über ihn, und ich durfte nicht unwahr sein; ich mußte so schreiben, wie das Milieu es mit sich brachte. Nun ich aber zum Schluß gelange und bessere, reinere Luft zu atmen beginne, bin ich auch reiner und freier in dem, was ich schreibe, und bekomme die Kraft zurück, alles das, was mich verbittern will, zu überwinden.
    Und mich zu verbittern, war mehr als genügsam Grund vorhanden. Ich spreche da nur von den letztvergangenen zehn Jahren und den Begleiterscheinungen des Münchmeyerprozesses. Dieser wurde von Seiten meiner Gegner resp. ihres Rechtsanwalts Gerlach in einer Weise geführt, die ich vorher für vollständig unmöglich hielt. Ich ahnte nicht, in wie weitgehender Weise das Gesetz in dieser Beziehung den Anwalt schützt. Wenn es gilt, den Gegner in den Augen der Richter herabzusetzen, darf er sich erlauben, was sich sonst niemand erlauben darf. Er steht unter dem Schutze des Paragraphen 193, denn er handelt im Interesse seines Klienten. Ich bringe eine Musterauswahl der Ausdrücke, die ich mir vom Münchmeyerschen Advokaten Dr. Gerlach gefallen lassen mußte, weil er sich ihrer in seiner Eigenschaft als Anwalt bediente.
    Er beschuldigte mich ‚frecher Anzapfungen‘, ‚unberechtigter Forderungen‘, zahlreicher ‚Dreistigkeiten‘ und ‚faulen Zaubers‘. Er nannte mich ‚raffiniert‘, ‚frech‘, ‚dreist‘, ‚verleumderisch‘, ‚pathologisch zur Unwahrheit reizend‘, ‚Lügner‘, ‚Lügenmay‘, ‚Renommist‘, ‚Münchhausen‘, ‚Aufschneider‘, ‚Betrüger‘, ‚Lump‘, ‚Schwindler‘, ‚Allerweltsschwindler‘, ‚Einbrecher‘, ‚Hochstapler‘, ‚Zuchthäusler‘ usw. usw. Ich frage: Sind dergleichen Beschimpfungen, selbst wenn sie die Wahrheit enthielten, im gewöhnlichen Leben erlaubt? Würde ein wirklich gebildeter Mann mit einem, der sich ihrer schuldig macht, verkehren wollen? Nun, im Verkehr vor Gericht sind sie gestattet, denn ich habe diesen Anwalt auf sie hin wegen Beleidigung verklagt und bin abgewiesen worden. Aber noch mehr: Er erhob auf diese meine Klage hin Gegenklage gegen mich, und diese wurde nicht zurückgewiesen. Der Richter ist hieran völlig unschuldig; er kann nicht anders; das Gesetz verlangt es so! Eines Tages, als die Zeugenaussagen für die Münchmeyersche Partei nicht günstig ausgefallen waren, sagte dieser Anwalt zum Richter:
    „Aber es ist doch ganz unmöglich, daß ein vorbestrafter Mensch, wie May, den Prozeß gewinnen kann!“
    „Das haben Sie abzuwarten“, antwortete ihm der Richter.
    Ich stand dabei und mußte mir die Beleidigung gefallen lassen, denn das Gesetz erlaubte sie ihm. Das ist nun fast zehn Jahre lang so gegangen und geht noch heut in diesem Ton und in dieser Weise fort. Ein sehr hochstehender Richter sagte, hierauf bezüglich, zu meinem Rechtsanwalt:
    „Niemals in meiner ganzen, langen Praxis ist mir eine Sache seelisch so nahe getreten, wie die von Karl May. Was muß dieser arme, alte Mann gelitten haben!“ Er hätte getrost hinzufügen können: „Was leidet er noch, und was wird er noch weiter leiden!“
    Dieser Richter kannte meine Vorstrafen genau; er hatte die hierüber vorhandenen Akten studiert. Ich gewann trotzdem und trotz aller gegnerischen Schmähungen den Prozeß in sämtlichen Instanzen, gewiß ein laut sprechender Beweis, daß der deutsche Richter sich durch anwaltliche Invektiven nicht beeinflussen läßt; aber ruhig anzuhören hatte ich sie doch und habe ich sie noch heut. Und sie wirken, wenn nicht auf das Urteil, so doch ganz bestimmt nach anderer Seite hin. Sie verrohen den Parteiverkehr und greifen aus dem Verhandlungszimmer hinaus in das öffentliche und hinein sogar in das private Leben. Man wird alle die beleidigenden Ausdrücke über mich, die ich oben angeführt habe, schon in den Zeitungen gelesen haben und ihnen ebenso auch im Privatverkehr begegnet sein. Das ist die notwendige Folge der Freiheiten, die jeder übelwollende, rücksichtslose Rechtsanwalt sich nehmen darf, wenn er einsieht, daß die Roheit ihn weiter führt als die Humanität. Er schreibt diese Roheiten in seine Schriftsätze und lanciert sie von da als beweiskräftiges Aktenmaterial hinaus in die Zeitungen. Oder er schickt sie zuerst in die Zeitungen und legt sie dann in gedruckter Form dem Gericht als Beweise vor, ohne zu sagen, daß sie von ihm stammen.
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