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72 Tage in der Hoelle

72 Tage in der Hoelle

Titel: 72 Tage in der Hoelle
Autoren: Nando Parrado , Vince Rause , Sebastian Vogel
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Geheimnisse der glänzenden Waren ein, auf die sich der Wohlstand unserer Familie gründete: Das hier ist ein Spreizdübel, Nando. Den nimmt man, wenn man etwas an einer hohlen Wand befestigen will. Das ist einVerstärkungsring – damit verstärkt man ein Loch in einer Segeltuchplane, sodass man ein Seil hindurch ziehen und das Tuch befestigen kann. Das hier ist eine Schlossschraube. Das sind Flügelmuttern. Hier haben wir die Metallscheiben – Sicherungsscheiben, Befestigungsscheiben, Unterlegscheiben in allen Größen. Wir haben Blechgewindeschrauben, Kreuzschlitzschrauben, Schlitzschrauben, Maschinenschrauben, Holzschrauben, gewindeschneidende Schrauben... und da sind die normalen Nägel, Ziernägel, Pappnägel, Ringnägel, Holznägel, Zimmermannsnägel, Doppelkopfnägel, mehr verschiedene Nägel, als du dir vorstellen kannst ...
    Für mich waren das kostbare Augenblicke. Es gefiel mir, wie er mit sanfter Ernsthaftigkeit sein Wissen weitergab, und ich empfand ein starkes Gefühl der Nähe zu ihm – ich wusste, dass er mich für alt genug hielt, um mir seine Kenntnisse anzuvertrauen. In Wirklichkeit brachte er mir diese Dinge nicht zum Spaß bei, ich musste sie wissen, wenn ich ihm im Laden helfen sollte. Aber schon als Kind spürte ich, dass er mir noch etwas tiefer Gehendes vermittelte: Es gibt im Leben eine Ordnung, das Leben hat einen Sinn. Sieh mal, Nando, für jeden Zweck gibt es die richtige Schraube oder Mutter, das richtige Scharnier oder Werkzeug. Ob er es vorhatte oder nicht, er lehrte mich das, was er selbst in den Jahren der Mühsal gelernt hatte: Begib dich nicht in ein Wolkenkuckucksheim. Achte auf die Details, auf die Haken und Ösen im wirklichen Leben. Du kannst dein Leben nicht auf Träumen und Wünschen aufbauen. Ein gutes Leben fällt nicht vom Himmel. Dein Leben baust du von unten nach oben auf, mit harter Arbeit und klaren Entscheidungen. Es gibt Regeln und Dinge, die sich nicht verändern werden, nur weil du es gern so hättest. Deine Aufgabe ist es, diese Regeln zu verstehen. Wenn du das schaffst, wenn du dir Mühe gibst und klug bist, geht alles gut.
    Diese Erkenntnisse hatten das Leben meines Vaters geprägt, und er gab sie auf vielerlei Weise an mich weiter. Besonders wichtig waren ihm Autos. Er sorgte dafür, dass ich begriff, was sich unter der Motorhaube verbirgt, wie die einzelnenTeile funktionieren und welche Routinewartungsarbeiten notwendig sind. Er brachte mir bei, wie man die Bremsen entlüftet, das Öl wechselt und den Motor richtig einstellt. Und er verwendete viele Stunden darauf, mir beizubringen, wie man gut fährt – zügig, das schon, aber auch ruhig und sicher, immer mit Gelassenheit und Beherrschung.Von Seler lernte ich, wie man beim Schalten Zwischengas gibt, damit das Getriebe sich weniger abnutzt. Er brachte mir bei, auf das Motorgeräusch zu hören und es zu verstehen; auf diese Weise konnte ich beschleunigen und genau im richtigen Augenblick schalten, sodass ich mit dem Auto im Einklang stand und die bestmögliche Leistung herausholen konnte. Er zeigte mir, wie man die Ideallinie durch eine Kurve findet und wie man eine Kurve mit der richtigen Geschwindigkeit nimmt: Bevor sie beginnt, bremst man stark ab, dann schaltet man zurück und beschleunigt im Kurvenverlauf gleichmä ßig. Autofans sprechen wegen der erforderlichen Fußarbeit vom »Fahren mit Hacke und Zehen«: Während der linke Fuß die Kupplung bedient, dreht sich der rechte auf der Ferse zwischen Bremse und Gaspedal hin und her. Ein solcher Fahrstil erfordert Geschicklichkeit und Konzentration, aber mein Vater bestand darauf, dass ich es lernte, weil es die richtige Art des Fahrens war. Man hielt damit das Gleichgewicht und die Reaktionsfähigkeit des Wagens aufrecht, vor allem aber verschaffte es dem Fahrer die notwendige Kontrolle, um den physikalischen Kräften von Gewicht und Impuls zu widerstehen, die den Wagen von der Straße tragen oder schleudernd in die Katastrophe treiben konnten, wenn man sie außer Acht ließ. Wenn man nicht so fährt, erklärte mir meinVater, schwimmt das Auto einfach durch die Kurven. Dann fährt man blind, überlässt sich der Herrschaft von Kräften, die einem entgegenarbeiten, und vertraut darauf, dass die Straße vor einem keine Überraschungen bereithält.
    Ich hatte unendlichen Respekt vor meinem Vater und wusste das Leben, das er uns ermöglichte, sehr zu schätzen. Ich wollte unbedingt so werden wie er, aber als ich in die Oberschule kam, musste ich mich mit der
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