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72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen

72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen

Titel: 72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen
Autoren: Karl May
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gebracht.
Lind säuseln die Zypressen;
Ein seliges Vergessen;
Durchschwellt der Lüfte Pracht.
Schlaf in Ruh, schlaf in Ruh,
Vorüber der Tag und sein Schall.
Schlaf in Ruh, schlaf in Ruh,
Die Liebe Gottes deckt euch zu!“
    Jetzt war es zu Ende. Die Anwesenden verhielten sich schweigend. Sie bewegten sich nicht. Da trat Marga herein und meldete:
    „Er schläft. Er ist über dem Gesänge eingeschlafen.“
    „So können wir gehen“, sagte Anton. „Er hat sein letztes Lied gehört. Wann werden wir das unsere hören?“
    Die Augen aller standen voller Tränen. Es war, als ob einem jeden sein eigenes Sterbelied gesungen worden sei.
    Leni trat zu Marga und flüsterte ihr zu:
    „Bitte, bleiben Sie für kurze Zeit bei dem Kranken! Ich komme bald wieder.“
    „Was wollen Sie? Wohin wollen Sie? Ich ahne –“
    „Lassen Sie mich nur!“
    „Nein, nein. Er könnte Sie mißverstehen.“
    „Oh, ich pflege sehr deutlich zu sprechen.“
    „Aber dennoch bitte ich Sie, doch lieber zu schweigen. Ich will lieber auf alles verzichten, als den Glauben erwecken, daß ich in unweiblicher Weise –“
    „Ich verstehe Sie sehr gut. Haben Sie ja keine Sorge. Nicht Sie sprechen zu ihm, sondern ich rede mit ihm. Sie werden jedenfalls gar nicht genannt.“
    „Das beruhigt mich allerdings.“
    Sie zog sich zu dem Kranken zurück, und Leni ging nach unten. Vor dem Haus standen die Freunde und Freundinnen in kleinen Gruppen beisammen. Anton hatte sich zu niemandem gesellt. Er schritt langsam dem Ufer des Sees zu. Leni ging ihm nach.
    Als sie ihn erreicht hatte, schob sie zutraulich ihren Arm in den seinigen.
    „Du, Leni“, sagte er erstaunt. „Was sagt dein Mann dazu?“
    „Nichts. Mein Mann hat Vertrauen zu mir, denn er liebt mich wahrhaft.“
    „Das ist ein Stich, der mir gilt.“
    „Ja, das will ich dir offen gestehen.“
    „Du willst sagen, daß nur einer, welcher nicht wahrhaft liebt, Mißtrauen hegen könne?“
    „Ja.“
    „Ich hegte einst welches gegen dich –“
    „Allerdings.“
    „Folglich liebte ich dich nicht wirklich?“
    „Das ist der richtige, logische Schluß. Leuchtet dir das nicht ein?“
    „Früher nicht.“
    „Aber jetzt?“
    „Ja.“
    „So scheinen deine Ansichten sich geändert zu haben.“
    „Die Ansichten mit dem Charakter. Ich hatte einen schlechten Charakter.“
    „Wirklich?“
    „Ja, ich war Egoist durch und durch. Ich, ich und wieder ich, das war das einzige Wort, was es für mich gab. Was sich nicht damit in Einklang bringen ließ, das hielt ich für schlecht, oder wenigstens unnütz. Darum konnte ich dich so peinigen.“
    „Es ist vergeben.“
    „Auch vergessen?“
    „Ja, Anton. Ich trage dir nichts nach.“
    „So hast du mich nicht wirklich geliebt.“
    „Meinst du?“
    „Ja. Wer so leicht vergessen kann, der hat nicht wirklich geliebt.“
    „Woher weißt du, daß ich leicht vergessen habe?“
    „Du sagst es ja.“
    „Nein.“
    „Du läßt es mich wenigstens erraten.“
    „Auch das nicht. Ich gestehe dir in aller Aufrichtigkeit, daß ich mich nur sehr schwer in den Gedanken der Entsagung finden konnte; als ich aber dann einmal entsagt hatte, war ein Wiederanknüpfen ganz unmöglich.“
    „Ja, du bist von jeher charakterfest gewesen. Ich aber hielt Starrheit für festen Willen. Nun, ich habe gebüßt und büße noch.“
    „Ist das notwendig?“
    „Ja.“
    „Schwerlich!“
    „Jedenfalls. Jede Schuld erfordert eine Sühne.“
    „Auch wenn sie vergeben worden ist?“
    „Dann nicht. Aber ich selbst habe es mir noch nicht vergeben.“
    „Du hast dich weder anzuklagen noch dir etwas zu vergeben. Du bist nicht das Objekt deines Irrtums gewesen, sondern ich war es, und so können Anklage oder Verzeihung nur von mir kommen.“
    „Du sprichst wie ein Prediger!“
    „Spotte nicht. Ich fahre fort: Ich habe dir vergeben, folglich ist dir verziehen; und du hast kein Recht, dich selbst noch weiter zu quälen und zu kasteien.“
    „Von deinem Standpunkt aus; der meinige ist aber ein anderer. Ich habe nicht nur gegen dich, sondern auch gegen mich gesündigt. Das letztere ist's, worüber ich mein eigener Richter sein darf, und da verzeihe ich mir nicht.“
    „Anton, bedenke den Unsinn!“
    „Das ist kein Unsinn!“
    „O doch! Du hast dich unglücklich gemacht und dafür willst du dich dadurch bestrafen, daß du dich noch unglücklicher machst. Ist das richtig?“
    „Ja.“
    „Wie falsch. Du bist betrunken und bestrafst dich dadurch, daß du noch immer mehr trinkst. Das ist
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