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600 Stunden aus Edwards Leben

600 Stunden aus Edwards Leben

Titel: 600 Stunden aus Edwards Leben
Autoren: Craig Lancaster
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Montana gerade deutlich verloren hat – ein weiterer Artikel im heutigen
Herald-Gleaner
 –, sollte er ausreichend Zeit dafür haben. Es gefällt mir nicht, dass erChancen hat zu gewinnen, wobei das nur eine fundierte Meinung ist und keine Tatsache. Ich bevorzuge Tatsachen.
    Ich lese außerdem, dass meine frühere Vorgesetzte in der Zentralregistratur ihren Posten verloren hat. Ich wette, dass Lloyd Graeve und alle anderen, die dort arbeiten, heute Morgen feiern.
    Ich überfliege alle Artikel, die ich lesen möchte, und gehe auch zu den anderen Ressorts des
Billings Herald-Gleaner
 – vor allem zur Briefkastentante, die auf den Brief eines neunundfünfzigjährigen Mannes antwortet, dessen Augen so schlecht sind, dass er seine Freundin nicht sehen kann, wenn sie intim werden. Eine gute Überschrift für diese Kolumne wäre »Liebe ist blind« gewesen, aber natürlich hat der
Billings Herald-Gleaner
diese Chance nicht ergriffen. Diese Zeitung hat schrecklich unfähige Schlagzeilentexter. Aber ich werde das auf sich beruhen lassen.
    Als ich mit Lesen fertig bin, ist es 9:05 Uhr, und ich muss mich beeilen, sonst komme ich zu spät zum Haus meiner Eltern – meiner Mutter.

    Das Wohnzimmer im Haus meiner Mutter ist heute ungewohnt unordentlich. Sie hatte mehrere Armvoll Kleidung meines Vaters heruntergebracht und sortiert sie in verschiedene Stapel.
    »Was tust du, Mutter?«, frage ich, nachdem sie mich zur Tür hereingelassen hat.
    »Ich gebe die Kleidung deines Vaters der Wohlfahrt. Geh sie durch und nimm alles mit, was du möchtest.«
    »Ich will nichts davon.«
    »Bist du sicher?«
    »Ja. Ich mag keine Golfshirts.«
    Bei einem Blick durch den Raum sehe ich, dass er Hunderte von Golfshirts hatte … und Hosen und Golf-Pullunder und Fleece-Pullover. Diese Kleidungsstücke, die an die Heilsarmee und die Hilfsmission von Montana gehen sollen, werden für viele Leute schöne Stücke sein. Ich wäre nicht überrascht, wenn ich diesenWinter einen Obdachlosen in St. Andrews sehen würde, der Vaters Pullover trägt. Das wäre lustig.
    »Warum machst du das gerade jetzt, Mutter?«
    »Warum nicht? Was du heute kannst besorgen … Und ich finde, es ist zu viel Zeug. Dein Vater ist nicht mehr da, um es zu tragen, und es wäre nicht recht, wenn wir so viel haben und andere so wenig.«
    Das ergibt Sinn. Und meine Mutter scheint richtig darin aufzugehen.
    »Es hat auch noch auf andere Weise sein Gutes, Edward.«
    »Was?«
    »Komm her und riech mal dran.« Sie hält mir eines der Shirts meines Vaters entgegen, ein aquamarinblaues langärmliges Polohemd mit dem Logo des Golfclubs
Augusta National
auf der linken Brust.
    »Ich soll an dem Golfshirt riechen?«
    »Ja, das ist nichts Schlimmes. Versuch’s mal.«
    Ich beuge mich vor, berühre den Stoff aber nicht mit der Nase. Trotzdem kann ich schwach den Parfümduft meines Vaters ausmachen,
Canoe
.
    »Wenn man vierzig Jahre lang mit einem Mann zusammengelebt hat, kennt man seinen Geruch«, sagt meine Mutter. »Es ist, als wäre er hier mit mir im Zimmer. Und das tröstet mich.«
    Sie lächelt mich an, und ich lächle zurück.
    »Vielleicht nehme ich doch eins mit, Mutter.« Sie gibt mir das aquamarinblaue Shirt, das ich beiseitelege, und dann helfe ich ihr, die anderen Sachen zusammenzufalten und aufzustapeln.

    »Ich habe einen Entschluss gefasst, Edward.«
    Meine Mutter und ich sitzen in der Küche und essen Thunfisch-Sandwiches und Karottenschnitze.
    »Was für einen?«
    »Ich werde das Haus verkaufen.«
    Ich bin überrascht.
    »Warum?«
    »Es ist zu groß für mich allein. Ich hätte kein gutes Gefühl, wenn ich allein hier wohnen bliebe. Es ist zu groß und … Na ja, es ist etwas, das ich mit deinem Vater geteilt habe. Jetzt ist er nicht mehr da, und ich denke, es ist an der Zeit, dass ich eine Wohnung nur für mich suche.«
    »Was für eine Wohnung?«
    »Direkt in der Stadt gibt es nette Eigentumswohnungen. Sie sind überschaubar für mich allein und liegen in der Nähe zu allem, wo ich gerne hingehe. So schön die Aussicht von hier oben auch ist, fand ich es nie gut, dass wir so weit von der Stadt entfernt wohnen und auch an schlimmen Wintertagen den ganzen Berg hinunterfahren müssen. Ich denke, ich würde gern unten in der Stadt wohnen.«
    »Ja.«
    »Außerdem werde ich auch nicht mehr so oft hier sein.«
    »Ach ja?«
    »Ja«, bekräftigt sie. »Ich habe beschlossen, dass ich meine Zeit gern zwischen hier und Dallas aufteilen würde. Deine Tante Corinne lebt
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