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60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
Autoren: Karl May
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beabsichtigte in unseren Unternehmungen eine längere Pause eintreten zu lassen, bis das Militär wieder zurückgezogen worden ist. Heute abend wird der letzte Coup ausgeführt, der aber auch ein ganz bedeutender ist. Es handelt sich um viele, viele Tausende, welche wir verdienen. Dann mag Brandt kommen. Er wird hier sitzen und keine Spur eines Paschers finden. Übrigens bin ich auch aus einem anderen Grund zu einer längeren Pause gezwungen. Ich habe unter meinen Leuten einige Kerls, denen ich nicht traue. Ich mußte den Bruder des einen erschießen lassen; der Grund ist Nebensache; nun glaube ich gar, daß ich selbst nicht mehr meines Lebens sicher bin.“
    „Du bist zu hart, zu streng gewesen. Man darf die Saiten nicht zu stark anspannen, sonst reißen sie.“
    „Unsinn! Bei dem Volk, welches ich kommandiere, muß Strenge sein. Jetzt lebe wohl! Ich habe wichtigeres zu tun, als hier zu plaudern.“
    Sie ging. Es gab so vieles zu denken und zu überlegen; so geschah es, daß sie von dem geraden Wege nach dem Schloß abkam. Und als sie das bemerkte, bog sie noch nicht in bessere Richtung ein. Sie hatte eine nachsichtige Herrin, es kam gar nicht darauf an, ob sie eine Stunde früher oder später zurückkehrte.
    So folgte sie dem Waldweg, den sie nun einmal eingeschlagen hatte. Baron Franz von Helfenstein war es besonders, welcher ihr zu denken gab. Sie war eine wohlhabende Bauerstochter und nur deshalb in den Dienst der Baronesse Alma getreten, weil das herrschaftliche Leben ihr besser gefiel, als das Wohnen und Verkümmern im einsamen Gebirgsdorf. Sie wußte, daß sie schön war; sie hatte gesehen, welche Macht die Schönheit besitzt, und sie wollte emporsteigen. Wie nun, wenn dieser Cousin Franz von Helfenstein auf irgendeine Weise, durch Liebe oder Zwang, vermocht werden könnte, ihr die Hand zu geben? Dann war sie Baronin, allerdings nicht reich, aber – hm, könnte nicht der kleine Robert sterben?
    Es waren wunderliche, vielleicht sogar gefährliche Gedanken, mit denen sie sich beschäftigte. Sie achtete gar nicht mehr auf ihre Umgebung, bis sie rasche Schritte vor sich vernahm. Sie blickte auf und zuckte zusammen. Vor ihr stand ein junger Mann, ganz in grau gekleidet, mit einem ledernen Ränzchen auf dem Rücken und einem Knotenstock in der Hand. Hätte er anstatt des breitkrempigen Hutes eine farbige Mütze auf dem Kopfe gehabt, so wäre er sehr leicht für einen wandernden Musensohn zu nehmen gewesen.
    Sie erkannte ihn sofort; sie waren ja in demselben Ort geboren und erzogen. Sie nannten sich sogar ‚du‘. Es war Gustav Brandt, der erwartete Polizeibeamte aus der Residenz. Da er Almas Milchbruder war, hatte der Baron, ihr Vater, ihn studieren lassen, eine Unterstützung, welche auf sehr fruchtbaren Boden gefallen war. Sein Gesicht glich ganz der Fotografie in Almas Album. Er war bereits jetzt höchst interessant und versprach, ein schöner Mann zu werden.
    Ella war bis zum Nacken herab errötet, als sie ihn erblickte.
    „Gustav!“ entfuhr es ihr unwillkürlich.
    Sie streckte ihm beide Hände entgegen, wie man einen lieben, vertrauten Freund begrüßt; er aber gab ihr kühl nur die Rechte.
    „Du hier? Mitten im Wald?“ fragte er.
    „Du ebenso!“ antwortete sie. „Wer uns hier erblickt, muß denken, wir haben ein Stelldichein verabredet.“
    „Wer das denkt, kann nicht viel Geist besitzen.“
    „Nicht? Nun, wäre denn ein Stelldichein zwischen uns beiden etwas so ganz und gar Unmögliches oder Unnatürliches?“
    Es war die alte, heimliche Liebe über sie gekommen. In ihren dunklen Augen loderte eine leidenschaftliche Glut. Am liebsten hätte sie sich an die Brust des jungen Mannes geworfen. Er wußte das und sah es auch.
    „Das sind müßige Fragen“, antwortete er.
    „Für den einen wohl, aber nicht für den andern. Du freilich wirst deine Augen niemals auf ein Dorfmädchen werfen. Du willst höher hinaus. Du wirst dir einmal eine Prinzessin suchen.“
    Ihr Ton war bei diesen Worten etwas höhnisch gewesen. Er schüttelte mit überlegenem Lächeln den Kopf und antwortete:
    „Ich kann jetzt nicht an Liebe denken, nach einer Prinzessin strebe ich nicht. Ich weiß nur so viel, daß diejenige, welcher meine Liebe gehören soll, sittlich rein sein und ein gutes Herz besitzen muß.“
    „Ah! Meinst du nicht, daß ich ein gutes Herz besitze?“
    „Nein“, antwortete er gleichmütig.
    „Und sittlich rein –?“
    „Bist du auch nicht.“
    Da flammte ihr Auge ihm zornig entgegen.
    „Wie
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