Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
werden, und in jenem vertraulichen Ton, welchen höhergestellte Herren hübschen Dienerinnen gegenüber zuweilen anzuschlagen pflegen. „Ich möchte Sie als Mama sehen!“
    „Und ich Sie als Papa!“ antwortete sie halb schnippisch, halb kokett. „Jedenfalls würden Sie sich dazu besser als zum Cousin eignen.“
    Es mußte in ihren Worten oder in ihrem Ton etwas liegen, was ihn frappierte, denn er trat einen halben Schritt zurück und fragte:
    „Wie meinen Sie das, Sie schöne, rätselhafte Teufelin?“
    „Nun, fragen Sie sich selbst, ob Sie so gern der Cousin dieses kleinen Vetters hier sind! Oder sind Sie etwa so sehr enthusiasmiert für ihn?“
    „Schlange! Das sollen Sie mir bezahlen!“
    Er streckte den Arm aus, um ihn um ihre Hüfte zu legen; sie aber entschlüpfte ihm mit einer allerdings schlangenhaften Bewegung.
    „Habe ich nicht recht?“ raunte sie ihm noch zu. „Ich denke, wir kennen uns!“
    Dann eilte sie weiter und verschwand hinter der Tür des Kinderzimmers.
    „Ein famoses Frauenzimmer“, flüsterte er, leise mit der Zunge schnalzend. „Üppig, schön, feurig und klug, aber leider fast ein wenig zu klug. Sie hat einen angeborenen Scharfsinn, der unter Umständen gefährlich werden kann. Es ist nicht gut, sie zur Feindin zu haben. Woher weiß sie doch nur, daß mir dieser fatale Junge ein Dorn im Auge ist? Ich habe mir ja nicht das geringste merken lassen, obgleich mich dieses nachgeborene Vetterchen um die erhoffte Erbschaft bringt.“
    Er stieg höchst nachdenklich die Freitreppe, welche nach dem Schloßhof führte, hinab. –
    Der Förster war in das Zimmer der Baronesse getreten. Sie kam ihm freundlich entgegen, reichte ihm die Hand und fragte:
    „Sie bringen mir Antwort aus dem Forsthaus, Papa Brandt?“
    „Ja, gnädiges Fräulein. Meine Frau läßt sagen, daß sie kommen wird. Das versteht sich ja ganz von selbst!“
    „Das freut mich sehr. Ich brauche die gute Mama sehr notwendig. Der König kommt mit Gefolge; viele andere Gäste sind zur Jagd geladen, so muß ich also alle verfügbaren Hände aufbieten. Sie waren bei meinem Papa?“
    „Ja. Ich habe die letzten Anweisungen des gnädigen Herrn Barons betreffs des Jagdarrangements erhalten. Wir bieten den hohen Gästen zu Ehren alles auf, was wir vermögen. Ein Gast aber wird kommen, welcher mir lieber ist, als alle diese vornehmen Herren.“
    Er zwinkerte dabei vertraulich listig mit den Augen, als ob es sich um ein angenehmes Geheimnis handle.
    „Lieber als diese alle? Wer mag das sein?“ fragte sie.
    „Hm! Eigentlich sollte ich es nicht verraten, aber die Freude macht mir das Schweigen zur Unmöglichkeit. Da, lesen Sie, gnädiges Fräulein!“
    Er zog einen Brief aus der Tasche, den er ihr gab. Sie hatte kaum einen Blick auf die Unterschrift geworfen, so flog das Rot der Freude über ihre Wangen.
    „Gustav!“ rief sie. „Ah, Gustav kommt! Wie schön das ist! Wir haben uns so sehr lange nicht gesehen!“
    „Und ich ihn noch viel länger nicht!“
    „Ja; ich habe in der Residenz mit ihm gesprochen. Es ist zum Besuch, daß er kommt?“
    „Nein. Bitte, lesen Sie!“
    Sie wendete den Brief hin und her. Über ihr schönes Gesicht flog es beinahe wie eine kleine Verlegenheit, doch überwand sie dieselbe schnell.
    „Was von Gustav kommt, darf nicht so flüchtig abgetan werden, lieber Papa Brandt“, sagte sie. „Wollen Sie mir den Brief nicht hierlassen? Ich bin jetzt anderweit so sehr in Anspruch genommen.“
    Man sah es dem guten Manne an, daß ihn der Wunsch des schönen Mädchens ganz glücklich machte.
    „Ja, gern, sehr gern!“ antwortete er. „Behalten Sie ihn hier, gnädiges Fräulein. Und da Sie so beschäftigt sind, will ich sogleich die Flucht ergreifen.“
    „Doch nicht, ohne daß ich Ihnen vorher einen Gruß an die gute Mama Brandt mitgebe. Sie wird sich freuen, Gustav wieder zu sehen.“
    Sie reichte ihm die Hand entgegen, die er zwischen die seine nahm, als ob sich diese Vertraulichkeit ganz von selbst verstehe. Und so war es auch. Sie hatte, von einer schwächlichen Mutter geboren, als Kind an der Brust der Försterin gelegen, und war somit die Milchschwester des Förstersohnes geworden, dessen Brief sie jetzt in den Händen hielt. Nach langer, langer Zeit, vor noch nicht ganz einem Jahre, war dann das kleine Brüderchen nachgekommen, doch hatte leider die Mutter, die Baronin von Helfenstein, die Geburt desselben mit dem Leben bezahlen müssen.
    Kaum hatte sich der Förster entfernt, so eilte die Baronesse
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher