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5 1/2 Wochen

5 1/2 Wochen

Titel: 5 1/2 Wochen
Autoren: Birgit Kürten
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rauf. Gerade als eine Träne mein Auge verlassen will, sehe ich das erste Gebäude Orrisons. Dieser Ort versteckt sich also vor verzweifelten Pilgern. Nur zirka 200 Meter nachdem ich Ruddi untersucht habe, bin ich an meinem ersten Etappenziel. Mit einigen Pausen und fix und fertig komme ich also gegen 15 Uhr und nach insgesamt acht quälenden Kilometern hier an. Überraschenderweise ist die Pein blitzschnell vergessen und wird durch ein Glücksgefühl abgelöst - ähnlich wie nach einer Geburt. Daraus schlussfolgere ich: Nicht verzweifeln, nicht denken, einfach weitergehen.
    Ich frage in der Herberge nach einer Unterkunft. „Wir sind ausgebucht.“ Was für eine Antwort?! Die nächste Übernachtungsmöglichkeit bietet sich in Roncesvalles, und das ist auf der anderen Seite der Berge und noch 16 Kilometer entfernt. Ich bettele noch ein bisschen rum, aber dadurch wird auch kein Bett frei. Und was mach ich jetzt? Kann mich nicht irgendjemand mit auf seine Matratze lassen?
    Auf der Terrasse sitzen meine beiden Wohltäterinnen. Bedrückt nehmen sie mich in Empfang. Sie wissen schon, dass ich nicht bleiben kann. Sie haben bereits bei ihrer Ankunft versucht, auch ein Bett für mich zu reservieren. Wild entschlossen möchten sie Hotels abtelefonieren, damit ich nicht im Straßengraben schlafen muss. Sie sprechen ja Französisch - im Gegensatz zu mir. Also rücke ich mein Handy raus und los geht’s. Drei, vier oder fünf Hotels und Pensionen werden angerufen und mit Engelsstimmen befragt, ob sie eine Frau mit einem „petit, petit chien (klitzekleinen Hund)“ aufnehmen. Ich denke: So wird das nix. Hund ist nicht gleich Hund. Meinen Ruddi muss man sehen, und dann klappt’s auch mit dem Zimmer. Was soll ich sagen, laut Aussage der Hoteliers gibt es wahrscheinlich in ganz Frankreich kein freies Bett mehr. Mit ungläubigem Gesichtsausdruck starre ich in die atemberaubende Bergwelt - oder nimmt mir die Aussicht auf weitere 16 Kilometer gerade die Luft?
    Ich habe keine Zeit zum Trübsal blasen. In diesem Moment kommt ein PKW den Berg runtergefahren und Mary schmeißt sich entschlossen vor diesen. Sie fragt nicht, sondern gibt dem Fahrer den Befehl, mich mitzunehmen - zurück nach Honto. Bevor ich realisieren kann, was gerade passiert, fliegen schon ungefragt mein Rucksack und die Wanderstöcke in den Kofferraum. Mein Handy wird hektisch in meine Handtasche zurückgesteckt, diese mir - sorgfältig verschlossen - um den Hals gehängt und ich samt Ruddi und einem Zettel für die Herbergsmutter in Honto ins Auto geschoben. Wie im Krimi! Die Frauen winken mir erleichtert hinterher. Der Fahrer ist sehr in Eile. Er ist Lehrer in Saint Jean Pied de Port und spät dran.
    Wir können uns nicht großartig unterhalten, weil er Franzose ist und kein Englisch oder Deutsch spricht. Er saust den Berg hinab, den ich eben erst mit Tränen in den Augen mit letzter Kraft erklommen habe. Ich komme aus dem Staunen nicht raus - runter wirkt der Weg noch steiler. Hier bin ich hoch gekommen? Ich beantworte es mir tief beeindruckt selbst: „Ja, Birgit, ganz sicher warst Du hier unterwegs!“ Stolz macht sich in mir breit. Und dann kommt der schreckliche Gedanke: Morgen muss ich hier das zweite Mal raufkraxeln! Ich glaube, ich dreh durch. In Honto angekommen, verlasse ich das Auto genauso schnell, wie ich in dieses reingekommen bin. Die Beifahrertür bekommt vom Anfahren den letzten Impuls zum Schließen. Ich rufe noch ein DANKE hinterher und sehe durch die kleine Heckscheibe, wie der Fahrer zum Abschied winkt.

Gleicher Tag
    Honto/Untto (50 Einw.), 500 m üdM, französisches Baskenland
    Herberge, 3-Bett-Zimmer, 31 Euro inkl. Abendessen und Frühstück

    Also schlafe ich doch in Honto. Die Herbergsmutter muss ich erst wieder versöhnlich stimmen, denn ich hatte ihr ja heute Mittag eine Abfuhr erteilt. Sie hat aber tatsächlich noch ein Bett frei. Ein bisschen mürrisch zeigt sie mir ein ebenerdiges Drei-Bett-Zimmer mit einem riesengroßen Bad. Dieser Raum ist fast doppelt so groß, wie der in dem die Betten stehen. Kein Schimmel an den Wänden oder der Decke. Trockene, frisch bezogene Betten und eine großzügige Terrasse für alle - mit Möbeln! Welch ein Luxus. Ich singe der Frau ein ehrlich gemeintes Loblied auf ihre Herberge und... sie lächelt und macht mir klar, dass ich wahrscheinlich wegen Ruddi alleine in dem Zimmer bleiben werde. Nun ja, was soll ich dazu sagen: „Macht doch nix.“
    Nachdem ich rausgefunden habe, dass auf dem Zettel von Lynn
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