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5 1/2 Wochen

5 1/2 Wochen

Titel: 5 1/2 Wochen
Autoren: Birgit Kürten
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ist ansteckend und nachdem ich mir ein noch warmes, köstliches Baguette „ohne was drauf‘ gekauft habe, laufe ich ihnen, gespannt wo es wohl hingehen wird, hinterher. Wer weiß, vielleicht bieten sie mir wirklich ein exquisites Zimmer an und ich kann der Schimmelhölle doch noch entkommen!

    Sie freuen sich ein Loch in den Bauch und führen mich schnurstracks genau zu der Herberge, in der ich diese Nacht wohne. Als uns das klar wird, sind die beiden nicht mehr in ihrer Begeisterung zu bremsen. Auch wenn ich den sympathischen Frauen Besseres zugetraut hätte, bin ich froh - nein! - ich raste aus vor lauter Freude darüber, dass ich ihnen nicht gleichgültig bin und sie mich schlussendlich doch noch in einem ihrer Herbergszimmer untergebracht wissen.
    Nach zirka zwei Stunden bin ich zurück in „meinem“ schimmeligen Gemach. Die drei Münchnerinnen sitzen um den kleinen, runden Tisch herum und machen „a Brotzeit“. Ruddi wird ohne Zögern liebevoll mit Stinkkäse und Wurst gefüttert. Stinkkäse in einem fensterlosen Zimmer ist echt gemein! Ich erzähle den Mädels, wie der Camino anfängt und zeige ihnen die Fotos. Sie sind nicht so sehr beeindruckt. Liegt entweder am Foto oder daran, dass sie die Berge zu Hause vor der Tür haben.
    Ich bin sehr müde und beschließe, mich schon mal hinzulegen. Sitzen geht sowieso nicht, weil ich in einem Etagenbett schlafe und nur auf der Kante nach vorne gebeugt Platz nehmen kann. Vollständig angezogen (vielleicht muss ich ja flüchten!?) lege ich mich zum ersten Mal in meinem Leben in einen Schlafsack. Ruddi krabbelt gleich mit hinein. Der Platz in der „Döshülle“ ist zwar ziemlich knapp bemessen, aber ich genieße seine Nähe trotzdem, denn ich fühle, dass ich nicht alleine bin.
    Wir vier Frauen unterhalten uns noch ein bisschen und sehr bald werde ich fast vom Sandmännchen überwältigt. An Schlaf ist aber nicht zu denken, denn meine Zimmergenossinnen sind noch „very busy“. Ich lasse mich kurz darüber aus, wie entsetzt ich von dem Zustand dieser Unterkunft bin und bekomme zur Antwort: „Gewöhn Dich lieber daran, besser wird das in den nächsten Wochen nicht.“ Ich höre wohl nicht richtig und antworte kurz und knapp: „Für mich mit Sicherheit.“
    Die fleißigen Süddeutschen packen wie auf Kommando ihren Rucksack vollständig aus. Hunderte Plastiktüten und -tütchen werden aufgemacht, wieder verschlossen und zurück in den Rucksack gesteckt. Dann wird doch nochmal alles ausgepackt und wieder eingepackt. Danach gehen alle duschen und packen ein weiteres Mal ihre Rucksäcke aus, weil blöderweise die Nachtwäsche mit eingepackt wurde. Amüsiert schaue und höre ich unauffällig zu und staune darüber, was die so alles dabeihaben. Vom Gaskocher über Topf und Pfanne bis hin zum Teller und zur Tasse. Warme und kalte Kleidung und Schuhe, Essen für ein Picknick wird auch immer dabei sein, höre ich. Medikamente, Bachblüten, Salben, Verbände und Pflaster in allen Größen für alle Fälle kommen zum Vorschein. Überdimensionale Schlafsäcke liegen auf den Betten bereit und ich höre, dass allein die je zwei Kilo und mehr wiegen. Ich frage mich, wie diese zirka dreißigjährigen, untrainierten Frauen mit dem Wahnsinnsgepäck über die Berge und Wochen kommen wollen. Ich habe allerdings jetzt das Gefühl, meinen Rucksack komplett falsch gepackt zu haben und versuche, die Panikattacke in den Griff zu bekommen. Ich weiß nicht um wie viel Uhr, aber irgendwas so um Mitternacht kehrt Ruhe ein, und tatsächlich schlafe ich auch relativ schnell ein.

Dienstag, 15. April 2008
    Saint Jean Pied de Port (immer noch), 160 m üdM
    1. Etappe bis Orrison, 8 km

    Morgens gegen sechs werde ich wach vom Rascheln genau der Plastiktüten, die gestern schon mehrmals ausgepackt wurden. Nun müssen sie noch mal raus - und zwar bei allen dreien. Ich erlebe in der Aufwachphase nochmal das gleiche, mit dem ich gestern eingeschlafen bin. Nach zirka einer Stunde voller Geduld steht fest: „Ich muss weg! Sofort!“ Ich gehe ins Bad, zieh mich um und begebe mich zum Frühstück. Das gibt es im Erdgeschoss.
    Der Raum ist ungefähr 25 Quadratmeter groß, die Wände sind uneben verputzt und lieblos geweißelt. Der Boden ist gefliest. In der Mitte steht ein riesengroßer Tisch mit ungefähr 16 Stühlen drum herum. An zwei Wänden befinden sich alte, vergilbte, wackelige Unterschränke, ein Kühlschrank und Regale, die sich über ein Wiedersehen mit ihrem alten Putzlappen freuen würden.
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