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5 1/2 Wochen

5 1/2 Wochen

Titel: 5 1/2 Wochen
Autoren: Birgit Kürten
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sich mit mindestens 50 Pilgern füllt. „Wo waren die die ganze Zeit?!“ Die Bahnfahrt ist mehr als gemütlich - es ist in der Tat ein Bummelzug.
    Eineinviertel Stunden fährt der Zug die 56 Kilometer durch eine reizvolle Landschaft ständig an einem Fluss entlang. Langsam wird der Strom wilder, was auf Steigungen hindeutet. Wir kommen den Pyrenäen immer näher. Schafe und Kühe grasen auf den zahlreichen Weiden. Ab und zu sehe ich ein kleines Dorf, bestehend aus vier oder fünf Häusern. Vor jedem Tunnel pfeift der Zug. Ruddi liegt auf seiner hellblauen Decke total relaxed auf dem Sitz mir gegenüber. Der tut so, als wäre er mehrmals in der Woche mit der Bahn unterwegs. Als der Schaffner die Tickets kontrolliert nimmt er das dösende Tier erst mal gar nicht wahr. Er schaut fragend zwischen dem Fahrschein für einen Hund und mir hin und her. Als ich auf Ruddi zeige, muss er lächeln. Ich habe diese Fahrt sehr genossen.

Gleicher Tag
    Saint Jean Pied de Port (1500 Einwohner), 160 m üdM, französisches Baskenland
    Herberge, 5-Bett-Zimmer, 15 Euro inklusive Frühstück

    In Saint Jean Pied de Port am klitzekleinen Bahnhof angekommen, steigen alle aus. Ich staune über die vielen Rucksäcke auf den Rücken. Nach ein paar Minuten Hinterherlaufen - der Mensch ist ja ein Herdentier - sprechen mich zwei Energie geladene Frauen meines Alters auf Französisch an. Sie sind vollkommen entzückt von Ruddi und erklären mir schwungvoll, wo das Pilgerbüro ist. Mit Händen und Füßen verständigen wir uns. Von meinem Schulfranzösisch ist natürlich nicht mehr viel übrig geblieben und ich finde es echt anstrengend, die Damen verstehen zu wollen. Ich gehe Richtung Pilgerbüro und die beiden begegnen mir noch zwei, drei Mal. Sie passen auf, dass ich auch ja den richtigen Weg nehme.
    Das Pilgerbüro ist sehr klein und voll mit Rucksäcken, die auf dem Boden stehen oder an Menschen hängen. Karsten arbeitet den ersten Tag hier und beweist eine göttliche Geduld mit den Leuten und ihren tausend sich wiederholenden Fragen. Ich bekomme meinen Pilgerausweis und nehme gleich für eine Spende von zwei Euro eine wunderschöne Jakobsmuschel mit. Sie ist das Erkennungsmerkmal der Pilger. Früher wurde sie auf der Wallfahrt zum Wasserschöpfen benutzt.

    Kaum wieder draußen an der frischen Luft, sind die beiden „Französinnen“ zur Stelle und machen mir wild gestikulierend klar, dass ich ihnen folgen solle. Die Mädels versuchen sogar Deutsch zu sprechen! Nee, da ist mein Rest-Französisch besser! Sie haben wohl eine ganz tolle Unterkunft oder so etwas für mich. Es ist lediglich eine Vermutung, dass sie selbst vermieten - und zwar besonders schöne, große oder preiswerte Zimmer. Die Mesdemoiselles sind total begeistert, möchten mich so gerne anstecken und ich verstehe nur Bahnhof. Ich wehre ab, will mich nicht stressen lassen - erst mal ankommen und in Ruhe den Ort ansehen. Vielleicht finde ich ja bei dieser Gelegenheit eine nette Pension.
    Das Pilgern muss sowieso bis morgen warten, weil auf den Wegen über die Pyrenäen Schnee liegt und Karsten dringend davon abgeraten hat. Er weiß außerdem, dass alle Betten in Honto und Orrison belegt sind. Überhaupt solle man immer reservieren, auch die Herbergen. Gerade heute ist - neben den anderen zahlreichen Pilgern - eine dreißigköpfige Gruppe Schweden mit Fahrrädern gestartet und die brauchen viele Schlafplätze. Zu allem Übel ist es schon 17 Uhr. Könnte ein bisschen spät sein?! Oder soll ich vielleicht doch noch...? Ich lass es.

    In Saint Jean Pied de Port muss man schon die Bergschuhe anziehen. Die kleinen schnuckeligen, kopfsteingepflasterten Gässchen mit ihren Häusern im alten navarresischen Stil führen bergauf oder bergab. So gut wie alle! Wenn es zu extrem wird, sind die Bürgersteige mit Stufen versehen. Ich kann kaum glauben, dass hier auch Autos durchfahren. Doch sie tun es! Zwar ganz wenige und im Schneckentempo - aber sie tun es! Ich glaube, die sind so langsam unterwegs, damit der Fahrer jederzeit stehen bleiben kann, um ein Pläuschchen mit den Passanten zu halten. Total gemütlich.
    In dieser Idylle treffe ich eine Familie - Mutter, Vater, Kind, großer Hund an Leine - und die Frau tritt doch tatsächlich nach meinem Ruddi, weil er es gewagt hat, sich ihrem Hund zu nähern. Sie hat ihn zwar nicht getroffen, aber allein die Absicht lässt bei mir alle Alarmglocken läuten. Ich bin so entsetzt, dass ich nur hinterher rufen kann: „Haben Sie eigentlich nen
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