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41 - Unter heisser Sonne

41 - Unter heisser Sonne

Titel: 41 - Unter heisser Sonne
Autoren: Karl May
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dir von uns allen werden, es sei Leben oder Tod!‘ Du hörst, ich weiß es noch.“
    „Ja, du weißt es noch. So sagten wir wörtlich. Und was wir versprochen, das ist, als ob es Allah versprochen worden sei. Mein Vater starb; mein Bruder – – –“, er hielt inne, fuhr aber dann fort: „Mein Bruder ist nun auch tot; aber ich bin ihr Erbe; ich habe auch ihr Versprechen geerbt und muß es nun dreifach halten.“
    Er wandte sich zu den Ältesten, indem er fortfuhr: „Meine Ehre ist auch eure Ehre. Ich weiß, der ganze Stamm tritt für unser damaliges Versprechen ein. Ist es so oder nicht?“
    „Es ist so! Wir halten es! Wir treten ein!“ rief es im Kreis der zwölf Stammesrichter, und sie alle näherten sich Merhameh, um nach dem Beispiele ihres Scheiks den Saum ihres Gewandes zu küssen.
    Daß wir unter diesen Umständen das Mahl in sehr gehobener Stimmung begannen, ist selbstverständlich. Merhameh wurde hoch geehrt. Es war, als ob eine Königin unter uns sitze. Sie wurde von zwei Söhnen des Scheiks, die schon über zwanzig Jahre zählten, persönlich bedient und nahm dies aber so außerordentlich anspruchslos entgegen, daß sie mit dieser Bescheidenheit den aufkeimenden Zorn der Frau des Scheiks entwaffnete. Welchen Zweck diese Versammlung ursprünglich und eigentlich hatte, das erfuhren wir während des Essens nicht; aber es mußte etwas sehr Wichtiges sein, denn es versammelten sich draußen immer mehr Leute, aber lauter Erwachsene; kein einziges Kind war dabei. Dann aber, als wir zu Ende waren und uns die Hände mit zerschnittenen Zitronen gewaschen hatten, teilte uns der Scheik mit, daß es sich um einen Akt der Gerechtigkeit, um eine Exekution handle.
    „Wir haben eine Blutrache gegen den Stamm der Manazah“, sagte er. „Der Bruder des Scheiks der Manazah hat meinen Bruder erschossen, nicht aus Versehen, sondern mit Absicht, aus dem Hinterhalt, einer elenden Beute wegen. Darum wurde den Manazah der Friede aufgesagt. Wir haben einen Hinterhalt gelegt, um dem Mörder aufzulauern. Es ist uns gelungen, ihn gefangen zu nehmen, heut wird er erschossen, grad in dem Augenblick, an welchem die Sonne untergeht. Das ist die von der Natur vorgeschriebene Zeit der Beendigung des Lebens. Zu diesem Zweck sind wir hier versammelt. Seht, da bringt man ihn!“
    Zwei Münazah brachten den Gefangenen aus dem Haus, wo er eingesperrt gewesen war. Er sollte hinaus nach der Gerichtsstelle geschafft und dort erschossen werden. Das Urteil war schon gesprochen. Er hieß Ali Ben Masuhl und war ein hagerer, dünnbärtiger Mann von echtestem Beduinenhabitus, im Alter von zwischen vierzig und fünfzig Jahren. Als er an uns vorüberkam und die beiden Frauen sah, riß er sich für einige Augenblicke von seinen Begleitern los, sprang auf die Frau des Scheiks zu, faßte mit den beiden gefesselten Händen den Ärmel ihres Gewandes und rief: „Beschütze mich; beschütze mich; beschütze mich!“
    Nach dieser Berührung, die nicht verhindert worden war, und der dreimaligen Aufforderung, ihn zu beschützen, war sie nach den Gesetzen des Landes verpflichtet, alles daranzusetzen, um seinen Tod zu verhüten. Auf diese Weise retten sich Verurteilte, wenn ihnen keine andere Hoffnung bleibt, zuweilen noch in den Schutz der Frauen, der von den Männern ganz unbedingt beachtet werden muß. Diese Frau aber riß sich von ihm los, streckte beide Arme abwehrend gegen ihn aus und antwortete: „Fort mit dir! Stirb, und verflucht sei deine Seele!“
    Da trat er von ihr weg, und ließ sich wieder ergreifen. Der Blick, den er auf sie warf, schauert mich noch heut! Und noch jemand trat von ihr weg, nämlich Merhameh. Sie sagte kein Wort, aber sie hat, solange wir noch bei den Münazah waren, keinen einzigen Blick mehr auf dieses kalte, erbarmungslose, goldgeschmückte Weib geworfen. Sie ging langsamen Schrittes dem Richtplatz zu, ganz allein. Wir beide, Halef und ich, folgten hinter ihr her. Man machte ihr und uns ehrerbietig Platz, denn es hatte sich blitzschnell herumgesprochen, wer sie war.
    Der Scheik bildete mit seinen zwölf Ältesten den Kreis, indem sie sich auf die schon erwähnten Steine setzten. Ali Ben Masuhl wurde in die Mitte dieses Kreises gestellt, mit dem Angesicht nach der untergehenden Sonne gerichtet. Er stand fest und aufrecht. Es war nicht das geringste Zeichen von Todesfurcht an ihm zu bemerken. Ihm gegenüber, außerhalb des Kreises, hockten die drei gewöhnlichen Münazah, die ihn zu erschießen hatten. Wir drei, Merhameh,
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