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4 - Wächter der Ewigkeit

4 - Wächter der Ewigkeit

Titel: 4 - Wächter der Ewigkeit
Autoren: Sergej Lukianenko
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verlassen.«
    »Aus der fünften Schicht direkt in die richtige Welt?« Ich konnte meine Verblüffung nicht verhehlen.
    »Ja. Wundert dich das?«
    Ich zuckte mit den Achseln. Da gab es nichts zu wundern. Wenn Geser mich überraschen wollte, konnte er aus dem Vollen schöpfen. Vieles wusste ich noch nicht. Und in diesem Fall …
    »Ein Jammer«, riss mich Geser aus meinen Gedanken. »Setz dich, Gorodezki.«
    Ich nahm Geser gegenüber Platz. Legte die Hände auf die Knie und senkte sogar den Kopf – als ob ich mich irgendwie schuldig fühlte.
    »Ein guter Magier erlangt seine Fähigkeiten immer im richtigen Moment, Anton«, meinte der Chef. »Solange du nicht lebensklüger wirst, wirst du auch nicht stärker. Solange du nicht stärker wirst, beherrschst du auch die hohe Magie nicht. Solange du die hohe Magie nicht beherrschst, bleiben dir gefährliche Orte verschlossen. Deine Lage ist einmalig. Dich hat der …« Er verzog das Gesicht. »… der Zauber des Fuaran erwischt. Du bist ein Hoher Magier geworden, ohne darauf vorbereitet zu sein. Ja, du hast Kraft. Ja, du kannst sie lenken … Und das, was dir früher schwergefallen ist, bewerkstelligst du heute ohne Probleme. Wie oft bist du denn schon in der vierten Zwielicht-Schicht gewesen? Und jetzt hockst du da, als ob das nichts wäre?! Eben! Und das, was du bisher noch nicht bewerkstelligst …«
    Dann verstummte er.
    »Ich werde es lernen, Boris Ignatjewitsch«, versicherte ich. »Schließlich sagen mir doch alle, dass ich große Fortschritte mache. Olga, Swetlana …«
    »Das tust du ja auch«, stimmte Geser mir ohne Weiteres zu. »So dämlich bist du nun auch wieder nicht, dass du dich überhaupt nicht entwickeln könntest. Aber im Moment erinnerst du mich an einen unerfahrenen Autofahrer, der ein halbes Jahr lang in einem Shiguli gegondelt ist und plötzlich hinter dem Steuer eines Rennwagens von Ferrari sitzt! Nein, schlimmer noch, hinter dem eines Kippers, eines BelAS von zweihundert Tonnen, der in einer Spirale aus der Sandgrube hochfährt … und neben dir ein Abgrund von hundert Metern! Und da unten fahren auch Kipper. Eine unbedachte Bewegung, ein Herumreißen des Lenkrads oder Tritt aufs Pedal – und es heißt für alle Gute Nacht.«
    »Das versteh ich ja.« Ich nickte. »Aber ich hatte es nicht darauf angelegt, ein Hoher zu werden, Boris Ignatjewitsch. Sie waren es, der mich auf die Jagd nach Kostja geschickt hat …«
    »Ich mache dir in keiner Weise einen Vorwurf und versuche, dir viel beizubringen«, erwiderte Geser. Dann fügte er recht übergangslos hinzu: »Wenn du dich bloß endlich wie mein Schüler verhalten würdest!«
    Ich hüllte mich in Schweigen.
    »Ich weiß einfach nicht mehr, was ich tun soll …« Geser trommelte mit den Fingern auf eine vor ihm liegende Mappe. »Dich auf alltägliche Aufgaben ansetzen? Eine Schülerin hat einen obdachlosen Tiermenschen gesehen. In Butowo ist ein Vampir aufgetaucht. Eine Zauberin hat wirklich gezaubert. In meinem Keller ist ein geheimnisvolles Klopfen zu hören. Das bringt doch nichts. Mit diesem Quatsch wirst du bei deiner Kraft spielend fertig. Da lernst du nichts. Soll ich dich hinterm Schreibtisch versauern lassen? Das willst du ja wohl selbst nicht, oder?«
    »Das wissen Sie doch ganz genau, Boris Ignatjewitsch«, antwortete ich. »Geben Sie mir eine richtige Aufgabe. Eine, bei der ich mich einfach weiterentwickeln muss.«
    »Aber sicher.« In Gesers Augen funkelte es ironisch auf. »Ich organisiere einen Überfall auf die Spezialdepots der Inquisition. Oder ich gebe dir den Auftrag, den Sitz der Tagwache zu stürmen …« Dann schob er die Mappe über den Tisch. »Lies das.«
    Geser selbst öffnete eine identische Mappe und vertiefte sich in die Lektüre der handgeschriebenen, aus einem Schulheft herausgerissenen Seiten.
    Woher kamen eigentlich bei uns im Büro diese altmodischen Pappmappen, die noch mit einer ausgefransten Schnur zusammengebunden wurden? Ob wir im letzten Jahrhundert gleich mehrere Tonnen davon gekauft hatten? Oder sie kürzlich bei einer Organisation heimarbeitender Invaliden aus humanistischen Gründen erworben hatten? Stellte man die Dinger in einem steinalten Kombinat in irgendeinem Muchosransk-Fliegenschisshausen her, das der dortigen Nachtwache gehörte?
    Letztendlich blieb die Tatsache, dass im Zeitalter der Computer, Kopierer, durchsichtiger Plastikhüllen und fester schöner Ordner mit einem bequemen Klemmverschluss unsere Wache die lappigen Pappmappen mit Schnüren
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