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3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)

3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)

Titel: 3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)
Autoren: Alexander Kamps
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Ziel...
     
    Da es schon 21 Uhr ist, ich nach einem Anruf in der Brienzer Jugendherberge erfahre, dass man dort nur bis 22 Uhr einchecken kann und ich außerdem weit davon entfernt bin, 6 Kilometer in einer Stunde zu schaffen, hab ich überhaupt kein schlechtes Gewissen, ausnahmsweise zu schummeln und ein kleines Stück mal nicht zu Fuß zu gehen. Der heilige Jakobus wird es mir spätestens in Santiago verzeihen.
     
    Nach der Abfahrt erklärt mir der Busfahrer, dass der “Schlaf im Stroh” -Hof nur ein paar hundert Meter weiter gewesen wäre, aber egal. Völlig fertig komme ich in der Jugendherberge an und in der Erfüllung eines seit Tagen geträumten Traumes findet der Tag doch noch ein schönes Ende.
     
    Nach der herzlichen Aufnahme frage ich , ob ich in der Nähe noch was Warmes zu essen bekommen kann, also nimmt mich die Herbergsmutter mit in die Küche, drückt mir Spaghetti (!), Tomatensauce (!) und Nudelsalat in die Hand und zeigt mir die Gemeinschaftsküche. Also nehme ich noch schnell, oder, besser gesagt, so schnell ich kann, eine heiße Dusche und koch mir danach das erste warme Essen seit drei Tagen.
     
    Spaghetti, die ja zufälligerweise noch mein Leibgericht sind, können ja so unbeschreiblich glücklich machen und ich verschlinge wahrscheinlich ein halbes Kilo. Da ich mir am Ende dieses Tages endgültig sicher bin, dass es wirklich (wirklich!) nicht noch schlimmer kommen kann und ich alle bisherigen physischen wie psychischen Schmerzen überwunden und Prüfungen be- und überstanden habe, bin ich mir heute zum ersten Mal ganz sicher, es bis nach Santiago zu schaffen!!!
     
     
     
    Fazit des Tages: …und ich lächelte und war froh, und es kam schlimmer!
     

Freitag, 23. Mai, 11. Tag:
     
     
     
Brienz – Interlaken, linke Seeroute, 23 km
     
     
     
    Das eindrucksvollste Erlebnis bisher, so schreibe ich an diesem Morgen in den Fragebogen, den die Jugendherberge für Jakobspilger bereithält, ist meine ganz persönliche Achterbahnfahrt zwischen Himmel und Hölle. Die Grenzen meiner physischen und psychischen Belastbarkeit werden auf diesem Weg neu festgelegt.
     
    Der Jakobsweg durch die Schweiz erschei nt mir wie ein sadistischer, aber dennoch liebenswerter Vampir, der seine ausgeprägt masochistischen Opfer wieder und wieder fast bis auf den letzten Tropfen aussaugt, um ihnen dann doch wieder per Druckbetankung jeden Tropfen zurückzugeben und alles wieder gut zu machen.
     
    Immer dann, wenn ich gerade dabei bin , diesen Weg zu verfluchen und mich frage, warum ich mir das alles freiwillig antue, zeigt er sich wieder von einer seiner atemberaubend schönen Seiten und die Wut schlägt wieder in so etwas wie andächtige Liebe um.
     
    Nach der brutalen Etappe von gestern hätte ich mir eigentlich einen Ruhetag verdient. Auch wenn mein innerer Schweinehund wieder sehr überzeugende Argumente hat, entscheide ich mich dafür, noch ein paar Tage zu laufen, weil ich mir ja vorgenommen hatte, nur einen Ruhetag pro Woche einzulegen. Dabei soll es auch bleiben. Du wirst auch weiterhin verlieren, verfluchter Schweinehund! Ich lasse es dafür aber wieder langsam angehen und habe alle Zeit der Welt.
     
    Wenn man schon über 30 Franken für die Überna chtung mit Frühstück zahlt, sollte man das Frühstück auch voll auskosten, also stopfe ich mich ruhigen Gewissens voll wie eine Mastgans. Außerdem packe ich natürlich - zum Glück sieht’s niemand, weil’s eben nicht gerne gesehen wird - Proviant für unterwegs ein.
     
    Nach dem Frühstück wasche ich meine Wäsche, worauf ich gestern natürlich keine Lust mehr hatte, und hänge sie in die Sonne, die sich endlich auch mal wieder blicken lässt. Mit Blick auf den Brienzer See, an dessen Ufern die Jugendherberge gelegen ist, mach ich danach meine Beine lang, erhol mich noch mal von der mörderischen Etappe gestern und schreibe Tagebuch.
     
    Laufe dann doch schon um 14:30 Uhr (!) los und entscheide mich, am linken Seeufer entlangzulaufen, weil mir das Höhenprofil (Wanderführer gelesen) dieser Route sympathischer ist. Habe dann wirklich nur 2 Auf- und 2 Abstiege, die nicht besonders anstrengend sind und mit denen ich gut leben kann. Am schönen Brienzer See und schließlich entlang der Aare erreiche ich Interlaken.
     
    Gegen 19:30 Uhr komme ich auf einem Campingplatz an, der direkt an der Aa re liegt, einem Fluss, der den Brienzer mit dem Thuner See verbindet. Ich treffe Harald wieder, mit dem ich mich hier verabredet habe. Er hat ein Zelt
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