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34° Ost

Titel: 34° Ost
Autoren: Coppel Alfred
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reichen. Es sind gute Männer … Männer des Opfers.« Sie hatte englisch gesprochen, die Sprache, in der sie sich verständigten, nur an Stelle der letzten Worte das arabische ›Fedaijin‹ verwendet. Sie wollte damit zum Ausdruck bringen, dass diese Männer ihren Frieden mit Allah gemacht hatten und nunmehr danach strebten, im Dienste des Islam zu sterben.
    Enver Leč verstand das, denn er gehörte einem Volk an, in dem der Islam unaustilgbare Spuren hinterlassen hatte. Seit Jahrhunderten waren albanische Moslems für dunkle, barbarische Ideale gestorben. »Na schön«, sagte er. »Kann sein, dass vierunddreißig die Arbeit von fünfzig tun können. Sag deinen Leuten, sie sollen die Kisten aufladen. Wir müssen sofort von hier verschwinden.«
    »Was hast du mitgebracht?«
    Leč ging auf eine Kiste zu und stemmte sie auf. Zu viert übereinander gestapelt, lagen neue russische Kalaschnikow-Maschinenkarabiner, die Standardwaffe der Sowjets. »Wie versprochen«, antwortete er.
    »Wie hast du sie bekommen?«
    »Es war schwierig. Die Revisionisten sind nicht mehr so großzügig wie früher einmal. Aber jetzt müssen wir los.«
    Leila gab Anweisung, die Kisten auf die Packtiere zu laden. Dann holte sie einen Burnus und ein Keffijeh aus ihrer Satteltasche und reichte die Dinge Leč. Während dieser sich in einen Wüstenbeduinen verwandelte, betrachtete ihn die Frau mit stetem Interesse. »In Beirut«, sagte sie plötzlich, »hatte ich den Eindruck, deine Regierung wäre noch unentschlossen, ob sie uns unterstützen sollte oder nicht. War mein Eindruck falsch?«
    »Nein. Aber mittlerweile wurde die Entscheidung getroffen.«
    »Warum?«
    Leč schenkte ihr ein Lächeln. »Spielt das eine Rolle? Die Entscheidung wurde getroffen.«
    »Wir kämpfen am besten, wenn wir wissen, wofür und für wen.«
    Leč zog den nach Staub riechenden schwarzen Kapuzenmantel über seine breiten, abfallenden Schultern und setzte sich das Keffijeh auf sein zottiges, angegrautes Haar. Die Flecken auf dem schmutzigen Tuch sahen nach Blut aus, aber er stellte keine Fragen über den Wüstenbewohner, dessen Kopfbedeckung er jetzt erbte. »Russen und Amerikaner«, sagte er, »feiern eine Liebeshochzeit. Tirana ist daran interessiert, ihre Liebe ein wenig zu dämpfen. Das ist Grund genug. Überdies steht zu hoffen, dass unsere vormaligen chinesischen Freunde davon Kenntnis erhalten und entsprechend reagieren. Aber das ist alles nicht von Belang. Ich wäre gekommen, auch ohne Instruktionen aus Tirana.« Sein Lächeln wurde breiter und irgendwie bedrohlicher. »Ich habe in meinem Leben schon vieles getötet, Leila, aber – du wirst es nicht glauben – ich habe noch nie eine Taube getötet. Das wird meine erste sein.«
    Er brach in Lachen aus und kletterte geschickt in den Kamelsattel. Leila, die das nächste Tier bestieg, gab ein Handzeichen, und der Trupp setzte sich landeinwärts nach Nordosten in Bewegung. Eine halbe Stunde später war er verschwunden, und als das nächste ägyptische Patrouillenboot diesen Punkt der Küste passierte, war nichts mehr zu sehen als die flachen Abdrücke der Hufe von Beduinenkamelen im Sand – ein in dieser Gegend so häufiger Anblick, dass er keinerlei Interesse oder gar Verdacht erregte.

2
    In Washington fiel der erste kalte Regen der Jahreszeit. Durch die hohen Fenster des Ovalen Salons konnte der Präsident den Schimmer der Lichter auf der Pennsylvania Avenue sehen, aber dahinter verschwand alles im flirrenden Zwielicht.
    Der Präsident fühlte sich müder, als er sein sollte, und sein Körper schmerzte ihn heftiger, als es bei einem Mann von noch nicht sechzig Jahren zu erwarten war. Verdrießlich wandte er sich vom Fenster ab und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Unbewußt rieb er sich die schmerzende Stelle an seinem Arm und sammelte von neuem seine Gedanken.
    Im Stuhl gegenüber saß sein Besucher in steifem Schweigen. Talcott Quincy Bailey war ständig von einer Aura moralischer Überlegenheit umgeben. Seine politischen Gegner nannten es Dünkel. Selbst der Präsident mußte sich eingestehen, dass es unmöglich war, in der Gesellschaft seines Vizepräsidenten nicht sehr bald das unbehagliche Gefühl zu verspüren, dass man gewogen und zu leicht befunden wurde.
    Dieser Bailey war der Geburt nach ein New-England-Aristokrat, seiner Erziehung und Überzeugung nach ein liberaler Intellektueller, und überdies Besitzer eines ererbten Vermögens. Er wäre nie der Vizepräsident seiner Wahl gewesen. Er war
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