Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

Titel: 34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer
Autoren: Annika Reich
Vom Netzwerk:
ich übrigens als erstes erraten. Sie waren nie am Meer, oder?«, fragte sie.
    »Nein«, sagte er.
    »Karl May war nie in Amerika«, sagte sie.
    »Doch, war er«, sagte Horowitz, »leider.«
    »Aber erst, als er die ersten Bände von Winnetou schon geschrieben hatte«, sagte sie.
    Horowitz wurde plötzlich ganz schweigsam, dann sagte er leise, wie zu sich selbst: »Mein ganzes Leben hatte ich genau vor diesem Moment Angst: dass jemand herausfindet, dass mein Leben ein einziger großer Bluff ist, nichts dahinter, keine eigenen Gedanken. Der große Meeresforscher, der all sein Wissen von anderen geklaut hat. Der große Meeresforscher, der nie am Meer war…«
    »…ist trotzdem ein großer Meeresforscher«, sagte Ella. »Sie haben doch zu mir gesagt, dass es das wahre, rauhe Leben da draußen gar nicht gibt. Und wissen Sie, ich glaube, das stimmt. Nicht einmal bei dem Unfall, den ich im Sommer hautnah miterlebt habe, kam es mir näher. Im Gegenteil: Da rückte es fast noch weiter weg, war noch mehr wie ein Film.«
    »Habe ich das gesagt? Mir scheint vielmehr, Ihnen ist der Konstruktivismus zu Kopf gestiegen. Man sollte sich keinesfalls mit diesen Dingen zu sehr beschäftigen und sie persönlich nehmen, sonst kommt man in Teufels Küche. Meine Devise in der Wissenschaft war ja zeitlebens: Immer schön theoretisch bleiben!«
    Ella musste lachen. »Na ja, also als eine Praktikerin kann man mich ja nun nicht gerade bezeichnen. Aber ich meine es ernst, Horowitz. Es ist genau, wie Sie gesagt haben: Es ist egal, was wir glauben. Wir müssen uns nur für eine Version entscheiden und die dann mit allen Konsequenzen leben. Vor kurzem hat mich das in eine tiefe Krise getrieben, aber jetzt finde ich es eigentlich doch wieder verlockend. Alles ist möglich, theoretisch jedenfalls. Und da sind wir uns doch schon wieder einig, oder nicht?«
    Horowitz schaute sie an.
    Ella stand auf. »Wissen Sie noch, als Sie am Telefon zu mir sagten, wir würden im selben Boot sitzen?«
    Horowitz nickte.
    »Wir sitzen im selben Boot.«
    »Wenn das so ist, Ella, wollen Sie die Nautilus dann übernehmen?«, fragte er. »Ich mag sie nicht mehr haben. So langsam beginne ich mich an den festen Boden unter meinen Füßen zu gewöhnen.«
    »Na ja, stürmisch genug wird es ja bleiben, so wie ich…«, Ella stockte kurz, »…meine Mutter kenne«, fuhr Ella nun aus heiterem Himmel fort und schaute Horowitz dabei blitzend an.
    Horowitz wich die Farbe aus dem Gesicht, und er fragte: »Das wissen Sie also auch? Ich wollte es Ihnen gerade gestehen.«
    »Ich hab Sie gewarnt«, sagte Ella. »Sie wird Sie fressen. Mit Haut und Haaren. Und ich kann nur hoffen, dass Sie mein Leben mitgebracht und es nicht achtlos herumliegen haben lassen, denn wenn meine Mutter es in die Finger bekommt, dann Gnade ihm Gott.«
    »Sie haben es doch längDt wieder«, sagte Horowitz.
    Ella schwieg, dann sagte sie: »Meine Mutter! Ausgerechnet meine Mutter! Wie können Sie nur? Dafür sind Sie mir aber jetzt was schuldig.«
    Horowitz schaute sie erwartungsvoll an.
    »Also, zuerst müssen Sie für mich herausfinden, wer mein Vater ist. Und dann müssen Sie mich einmal im Monat zum Kakaotrinken ins Adlon einladen. Mit allem Drum und Dran. Kakao in einer Silberkanne, und dazu eine kleine silberne Etagere mit Keksen und kleinen runden Törtchen. Das sind Sie mir schuldig, denn das haben sie alle gemacht, und es war das einzig Gute an all den Männern, wegen denen meine Mutter mich vernachlässigt hat.«
    »Mit allem Drum und Dran«, sagte Horowitz.
    »Gut, dann können Sie ja jetzt Ihre Sachen holen, oder war das nur ein Vorwand?«, fragte Ella.
    »Beides«, sagte Horowitz.
    »Ich lasse Sie jetzt allein. Muss eigenartig sein, nach all den Monaten wieder in seine Wohnung zu kommen«, sagte Ella. »Wir sehen uns bei Kakao und Drum und Dran, ja?«
    »Ja«, sagte Horowitz, »genau dort. Danke, Ella.«
    Als Ella die Tür hinter sich zuzog, stand Horowitz eine Weile unschlüssig herum. Dann packte er in Windeseile seine Unterlagen zusammen und verließ das Haus. Ella hatte recht: Seine Wohnung sah aus wie die Nautilus. Ihm war das bis zum heutigen Tag nur noch nie aufgefallen.

27
    Als Horowitz Sibylle nach seinem Treffen mit Ella in dem Café abholte, fragte sie aufgeregt: »Und wie war’s?«
    »Sie will, dass ich sie jeden Monat zum Kakaotrinken einlade«, antwortete Horowitz, und Sibylle blieb mitten auf der Straße stehen und verdrückte eine Träne.
    »Sie kann es noch«, sagte sie dann
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher