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328 - Flucht aus dem Sanktuarium

328 - Flucht aus dem Sanktuarium

Titel: 328 - Flucht aus dem Sanktuarium
Autoren: Mia Zorn
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hinter ihm. Noch einmal fünfhundert Meter und er würde in den Bereich der Hohlweltinnenwand gelangen, in dem ständig wechselnde Farbtöne mild leuchteten und dem Sanktuarium sein stetes Dämmerlicht verliehen.
    Grao’sil’aana kletterte langsamer, verschnaufte, übte sich ein wenig im Gebrauch der acht Augen, die ihm wie ein nicht vollständig geschlossenes Diadem auf dem pelzigen Stirnschädel saßen. In beinahe jede Richtung konnte er damit schauen.
    Wie eine wogende, mattgrüne See breitete sich der Dschungel unter ihm aus, begrenzt von einem engen, kreisrunden Horizont und unterbrochen nur von den vier Forts und etlichen Flächen in anderen Farbtönen – Ocker oder Erdbraun vor allem –, die aussahen, als hätten vor nicht allzu langer Zeit Primärrassenvertreter sie noch bewirtschaftet.
    Die Festungsanlage, die er nicht mehr aufgesucht hatte, wies auch von hier oben keinerlei Spuren von Bewohnern auf: keine Rauchsäulen von Kaminen, keine Lichtquellen, keine Bewegungen irgendwelcher Art. Dort lebte niemand mehr. Und im Dschungel hatten Primärrassenvertreter keine Überlebenschance. Vermutlich war es pure Einbildung, dass Grao’sil’aana sich ständig beobachtet gefühlt hatte.
    Was war dort unten geschehen, dass kein Mensch mehr zu finden war in den Forts und auf den Feldern? Welche Katastrophe hatte das Sanktuarium entvölkert? Eine Seuche hätte nicht die Art Zerstörung hinterlassen, die Grao’sil’aana gesehen hatte. Am wahrscheinlichsten erschien ihm ein Krieg. Oder hatte der Appetit der vogelartigen Bestien auch den letzten Primärrassenvertreter aus dieser Welt getilgt?
    Gleichgültig. Nicht mehr lange, und er würde das Sanktuarium hinter sich lassen. Er kletterte weiter.
    Bald neigte die Wand sich deutlich sichtbar über die Waldlandschaft darunter. Grao’sil’aana schätzte, dass er eine Höhe von mindestens dreihundert Metern über Bodenniveau erreicht hatte. Das Klettern kostete ihn jetzt mehr Kraft, sorgfältiger musste er jetzt die haarfeinen Fäden in kleinste Unebenheiten im Fels versenken. Und viel zu deutlich spürte er den immer stärker werdenden Zug an seinem vorderen Beinpaar.
    Grao’sil’aana hatte nichts anderes erwartet: Der Winkel zwischen der Wand und seiner vertikalen Körperachse – dem Vektor also, an dem die Schwerkraft ansetzte – wurde ja immer größer. Kurz vor dem Ausstieg zur Erdoberfläche würde er neunzig Grad betragen, und Grao’sil’aana würde an der Kuppelwand hängen wie ein Spinnentier an einer Raumdecke.
    Der Daa’mure sah diesem Augenblick durchaus optimistisch entgegen. Er fühlte sich kräftig genug für den schwereren Teil des Aufstiegs, beherrschte seinen neuen Körper jetzt nahezu perfekt und verstand es immer geschickter, auch in winzigsten Rissen Halt zu finden.
    Bald tauchte er in wärmere und feuchtere Luftschichten der Hohlwelt ein. Von hier aus wirkte der grünliche Grund wie eine einzige dichte Baumkrone in ihrem fettesten Sommerlaub. Das Einstiegsloch erschien ihm als verschwommener Fleck zwischen den bunten Lichtern. Er konnte auch das gekappte und ausgefranste Ende des Drahtseils erkennen, an dem seine Gondel gehangen hatte. Es ragte weit in die Höhle hinein. Vermutlich hatten die Clarkisten eine Sprengladung daran angebracht, während es sich abgerollt hatte.
    Jetzt sah Grao’sil’aana, woher das milde Farblicht stammte, das diese kleine Partialwelt erhellte: aus einer moosartigen Schicht, die den Felsen ab einer Höhenlinie zu überwuchern begann, die jetzt noch knapp achtzig Meter über dem Daa’muren lag. Das Licht schien zu wogen und zu wabern, fluoreszierte und pulsierte und verband sich ständig zu neuen Farbtönen.
    Grao’sil’aana kletterte diesem Phänomen entgegen. Wie erstaunlich, dass dieses Licht ausreichte, um am Grund des Sanktuariums so verschiedenartige Pflanzen wachsen zu lassen.
    Der Daa’mure zerbrach sich noch den Kopf darüber, als sein vorderes Beinpaar in die leuchtende Schicht über dem Fels eindrang – und abglitt!
    Der Schrecken verjagte jeden Gedanken aus seinem Hirn.
    Er verlor mit den beiden Vorderbeinen den Halt, verankerte sich mit aller Kraft über Mittel- und Hinterbeine im Fels. Dicht zog er sich an das Gestein, bis die Vorderbeine wieder festen Halt gewannen. Dann versuchte er es noch einmal.
    Wieder glitt er ab. Die Schicht hatte eine schleimige Konsistenz, in der die Mikrohärchen an seinen Beinausläufern keinen Halt fanden. Sie konnten nicht einmal bis zum festen Fels
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