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324 - Eine neue Chance

324 - Eine neue Chance

Titel: 324 - Eine neue Chance
Autoren: Michelle Stern
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Gezeitenströmung wiegte sie sanft hin und her. Die meisten Hydriten der Stadt liebten diese Bauweise, da sie ihnen vermittelte, im freien Meer zu schwimmen.
    Gilam’esh hielt gute zehn Meter über dem Grund neben einer bescheidenen Sphäre. Dort lebte er seit dreißig Rotationen. Er benutzte die Bionetikschleuse, um sich hinaus ins Wasser befördern zu lassen. Mit einem schmatzenden Geräusch spie die Qualle ihn aus.
    »Meister Gilam’esh!«, rief eine helle Junghydritenstimme. »Meister Gilam’esh, komm schnell!«
    Chal’fir schwamm auf die Qualle zu. Sie wirkte aufgeregt, aber nicht ängstlich. In ihren großen kreisrunden Augen lag ein fiebriger Glanz. »Er ist angekommen!«
    »Wer?«, gab Gilam’esh brummig zurück. Er hatte sich auf seine Wohnsphäre gefreut und die Ruhe, die darin herrschte. Vielleicht konnte er dort für ein paar Phasen die dunklen Gedanken vergessen und den Samsiu-Fischen hinter der Bionetikscheibe zusehen. Doch er wusste, dass seine begabteste Schülerin keine Ruhe geben würde, bis er ihr folgte.
    Chal’fir umschlang mit den Armen ihren Oberkörper, ein Zeichen ihrer Abwehr. Sie war beleidigt. »Na, wer schon? Ei’don natürlich! Wir haben dir doch erst gestern erzählt, dass er kommt.«
    Richtig. Gilam’esh hatte sich aus diesem Trubel bewusst heraushalten wollen. Der junge Hydrit namens Ei’don konnte gut und gern derjenige sein, der später als Herrscher aller Meere gelten würde. Der Friedensbringer, der den Krieg zwischen den fleischfressenden und den nicht fleischfressenden Hydriten beenden würde. Von ihm wollte Gilam’esh Abstand halten, um nicht aus Versehen die weitere Geschichte der Hydriten zu verändern.
    Trotzdem bin ich neugierig, ihn zu sehen , gestand sich Gilam’esh ein. Ei’don war neben seinem Mythos die Lichtgestalt der Hydriten, eine Legende, die er zu Lebzeiten kennenlernen konnte, wenn er den Mut dazu fand. Gilam’esh fühlte sich mit diesem außergewöhnlichen Hydriten verbunden. Ihn einmal zu sehen, wird sicher keine Folgen haben, beschwichtigte er seine Bedenken.
    »Ich komme ja, Chal’fir.« Er schloss sich der ungeduldigen Junghydritin an. Seite an Seite schwammen sie in die Mitte der Enklave, hin zum Versammlungspunkt. Ein Hydrosseum hatte die winzige Stadt nicht. Die Hydriten trafen sich im offenen Wasser in einem Ring aus Tantris-Dornen, der die Sicht abschirmte und vor übermütigen Meerestieren schützte.
    Je näher sie dem Zentrum kamen, desto mehr Hydriten begegneten ihnen. Ei’dons Ankunft lockte die Bewohner aus ihren Sphären. Manche schwammen im Familienverband.
    Neben Chal’fir ließ sich Gilam’esh im Kreis der Tantris-Pflanzen zum Grund sinken. Bionetische Linsen verstärkten am Versammlungszentrum das Restlicht der Sonne. Ein heller Schein fiel auf den Sand. In seinem Glanz stand ein Junghydrit, der Gilam’esh nicht einmal bis zur Brust reichte. Er konnte nicht älter als zehn oder elf Rotationen sein. Wie andere Hydriten auch, trug er nicht mehr am Körper als einen Lendenschurz aus Fischleder. Schmuck entdeckte Gilam’esh an seinen Armen nicht.
    »Wie herrschaftlich er wirkt«, klackerte Chal’fir Gilam’esh zu. »Er scheint so...«, sie machte eine Pause und suchte nach Worten, »… weise zu sein.«
    Gilam’esh wollte sie zurechtweisen, nicht nach einem ersten, flüchtigen Eindruck zu gehen, doch er ließ es bleiben. Der junge Hydrit beeindruckte ihn zutiefst, ohne auch nur einen Ton von sich gegeben zu haben. Er strahlte etwas aus, das die Hydriten auf dem Platz verstummen ließ. Es lag nicht an seinem Körper. Die Schuppen schimmerten blaugrün wie bei vielen anderen Hydriten, der Scheitelkamm war dunkelblau, die Gestalt selbst für einen Nachkömmling seines Alters eher schmächtig. Aber von ihm ging ein Einfluss aus, der Gilam’esh unweigerlich an die lachenden Götter denken ließ. Ei’don schien über die gewöhnlichen Hydriten erhaben, ohne dabei arrogant aufzutreten. Er wirkte entrückt, frei von jedem Leid.
    Er muss eine einmalige mentale Begabung haben , dachte Gilam’esh fasziniert. Ein Quan’rill mit herausragenden Fähigkeiten.
    Seit Wochen gab es in Isch’tan’lot Gerüchte um den jungen Ei’don. Er habe Kräfte, weit stärker als andere Geistmeister, und er könne heilen. Es war nicht verwunderlich, dass die Alten und Kranken zu ihm strömten. In Isch’tan’lot war es nicht anders. Im verstärkten Schein der Sonne warteten gut zwanzig Hydriten, die sich von Ei’don Heilung erhofften. Ihre
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