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324 - Eine neue Chance

324 - Eine neue Chance

Titel: 324 - Eine neue Chance
Autoren: Michelle Stern
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wären die Hydriten friedlich geworden oder hätten zumindest eine ernsthafte Chance gehabt, sich zu ändern, gäbe es nicht diesen Bund, der sich für auserwählt hielt und unter dem Deckmantel von Gilam’eshs Lehren ein Verbrechen nach dem anderen beging.
    In seiner Erinnerung sah Kar’tor ihn mit ihren funkelnden Rubinaugen an. »Was willst du, Ei’dan, Geistwanderer? Du gehörst zu den Auserwählten. Die Götter Rotgrunds haben dich auserkoren, ein Leben in Luxus und Frieden zu führen, in den Verborgenen Städten. Ist das nicht, was du dir immer erhofft hast? Unsterblich sein, die Zeiten überdauern. Wir schenken dir Klonkörper, so viele du brauchst. Alles, was du versprechen musst, ist, zu schweigen. Auch zu deinem Schutz. Die sterblichen Hydriten würden dich hassen, erführen sie von deiner Gabe.«
    Gilam’esh hatte sein Versprechen gegeben. Warum auch nicht, er hatte ohnehin nicht vor, sich einzumischen, um kein Paradoxon heraufzubeschwören. Er hatte sich der Klonkörper des Bundes bedient, um seiner Aufgabe nachkommen zu können. Doch in die Verborgenen Städte war er nie gegangen.
    Auch Quart’ol hatte es so gehalten. Der Freund hatte im Laufe von Jahrzehnten sogar eine eigene kleine Klonproduktion im Geheimen aufgebaut, um von den Umtrieben des verhassten Bundes Abstand zu nehmen. Allerdings hielt sich Quart’ol nicht daran, alles hinzunehmen. Er sah es als seine moralische Pflicht, dem Bund zumindest im Kleinen und Verborgenen entgegenzutreten und die letzten Reste der alten Zivilisation zu schützen, so weit es in den Kriegen möglich gewesen war.
    Quart’ol und Gilam’esh hatten sich schon vor fünf Jahrhunderten getrennt. Sie hielten noch immer freundschaftlichen Kontakt und trafen sich alle dreißig bis fünfzig Jahre. Der Freund war zunächst bei Pan’dor’rah geblieben und hatte auch nach ihrem Tod die Nähe Gilam’esh’gads nicht verlassen.
    Gilam’esh dagegen hatte für sich gespürt, dass es Zeit war, zu gehen. Er hatte die Meere bereist, als unauffälliger Pilger. Dabei war er nicht dagegen angekommen, nach weiteren Zeitblasen Ausschau zu halten. Auch den Flächenräumer hatte er aufgesucht, doch der Koordinator hatte ihn nicht eingelassen.
    Beinahe hatte Gilam’esh dieses Unternehmen mit dem Leben bezahlt. Nur mit letzter Mühe hatte er einen anderen, tierischen Körper finden können und war viele Jahre im Eis herumgeirrt, ehe es ihm gelang, wieder ins Meer und unter Hydriten zu kommen. Aber es war ihm gelungen.
    Und nun bin ich wieder allein, ein Reisender in der falschen Zeit. Aber wenigstens habe ich andere zum Kommunizieren. Es ist nicht wie im Zeitstrahl, nur umgeben von leblosen Blaupausen.
    Die Erinnerung an die Äonen währende Gefangenschaft im Tunnelfeld ließ Gilam’esh schaudern und alle anderen Schrecken verblassen.
    Er gab Schub und näherte sich der Stadt auf dem Schelf. Zügig glitt die Qualle durch einen Kelpwald. Kobaltblaues Wasser umgab das Gefährt und schenkte Gilam’esh ein Gefühl von Weite und Freiheit.
    Wie so oft fragte er sich, was aus Matthew Drax und den anderen geworden war, die er vor vielen Jahrhunderten im Flächenräumer zurückgelassen hatte. Würde er so lange leben, um selbst nachsehen zu können, was seinen Freunden widerfahren war? Er wusste nicht, ob er das konnte. Je mehr Zeit verging, desto müder wurde er und sehnte den Tod herbei.
    Mutlos ließ er den Scheitelkamm hängen. Seine Schuppen fühlten sich unangenehm kalt an. Der einst so junge Klonkörper aus Quart’ols Fabrikation war alt geworden und hatte trotz medizinischer Eingriffe viele Gebrechen. Auch seine Erinnerungen waren getrübt. Es gab Tage, da konnte er sich nicht einmal mehr klar vorstellen, wie Matthew Drax ausgesehen hatte.
    Ein Trost gab es in dieser Zeit. Er konnte zumindest seinen eigenen Namen wieder benutzen, damit er den nicht vergaß. Viele Jungmütter nannten ihren Nachwuchs Gilam’esh, auch wenn kaum jemand mehr wusste, welche Legenden sich um diesen Namen rankten.
    Ich mache mir etwas vor. Es ist an der Zeit, die Vergangenheit endlich loszulassen. Vielleicht ist es sogar besser, sich keinen neuen Körper zu besorgen und in diesem zu sterben.
    Die ersten Wohnsphären tauchten um ihn herum auf. Sie wirkten, als würden sie frei im Wasser schweben. Dicke Bionetik-Taue hielten die Kugeln und umhüllten sie wie Fangnetze. Die Stränge waren durchsichtig. Wie Seifenblasen schillerten die Sphären über ihnen im Licht der untergehenden Sonne. Die
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